Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ein umstrittenes Großprojekt stürzte die Bevölkerung unserer Landeshauptstadt in ein tiefes Zerwürfnis. Man verstand jahrelang nur noch „Bahnhof“. Gegner und Befürworter verstehen sich bis heute noch nicht, obwohl sie dieselbe Sprache sprechen. 

Von einem Großprojekt ist auch in der Bibel die Rede. Mit einem gewaltigen Turm  wollte man sich damals in Babylon „einen Namen machen“, heißt es in einer alten Überlieferung (Genesis 11,1-9), und ganz nebenbei Gott aufs Dach steigen.

Der nimmt´s gelassen und sagt: „Auf, steigen wir hernieder und verwirren wir ihre Sprache, dass keiner mehr den anderen versteht.“ Und so wird Babylon zum Symbol der Wirrsal und der Spaltung.

Erst auf diesem Hintergrund versteht man, was an Pfingsten in Jerusalem geschah. Etwas Wundersames war in die verängstigte Christengemeinde hineingefahren, man brachte es mit Gottes Heiligem Geist in Verbindung. Begeistert stürmten die Frauen und Männer nach draußen auf die Straße. In Jerusalem wohnten damals viele Juden aus anderen Ländern, mit anderen Sprachen und Dialekten. Doch das Unglaubliche geschah: „Ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden“. So erzählt die Apostelgeschichte (2,5).

Verstehen hängt nur bedingt mit der Muttersprache zusammen. Die nützt gar nichts, wenn – wie damals in Babylon – Macht und Überheblichkeit ins Spiel kommen. Dann sind Missverständnisse vorprogrammiert. Erst recht, wenn auch noch Gewalt angewandt wird – die zerstört die gemeinsame Plattform des Verstehens. Fassungslos stehen wir gegenwärtig diesen irren Gotteskriegern gegenüber. Kaum jemand begreift noch, was in deren Gehirnwindungen vorgeht. Da verschlägt es einem einfach die Sprache.

Auch Beziehungen und Freundschaften splittern, wenn einer sich über den andern erhebt. Das schafft Verwirrung zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, Deutschen und Ausländern. Zwist in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und bis hinein in unsere Gemeinden sind die Folge. Verstehen kann man sich nur, wenn man in den Spiegel blickt und sich der eigenen Begrenztheit und Bedürftigkeit bewusst wird. Auf dieser Ebene ist man sich plötzlich ganz nahe. Und erst recht dort, wo uns Liebe miteinander verbindet. Die Sprache des Herzens bedarf keiner Worte.

Pfingsten lässt hoffen, dass viele, die sich nicht mehr verstehen, wieder eine gemeinsame Sprache finden. Das kann gelingen, wenn man vom Thron der Rechthaberei, der Überheblichkeit herabsteigt und einander liebevoll zur Seite steht. So, wie es von der Jerusalemer Urgemeinde berichtet wird: „Sie waren ein Herz und eine Seele...“ (Apostelgeschichte 4,32).

 

 

 

 

 

 

 

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