SWR1 3vor8

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IIch habe mich getäuscht. Es geht an Pfingsten nicht um ein Sprachwunder, wie die Kirche immer behauptet. Früher habe  ich das auch geglaubt. Bis das Folgende passiert ist.

Ein Freund von mir stammt aus Eritrea. Die Menschen dort halten zusammen. Besonders in großer Not. Aus einer Gruppe von seinen Landsleuten, die vor drei Jahren nach Europa fliehen wollten, haben ihn immer wieder Anrufe erreicht. Die jungen Männer, die auf der Flucht sind, wollten meinen Freund auf dem Laufenden halten. Und sie haben ihn darum gebeten, Hilfe für sie vorzubereiten. Ein Anruf ist sogar noch von dem Boot gekommen, mit dem sie von Libyen aus nach Italien übersetzen. Es ist der letzte, der meinen Freund erreicht hat. Dann hat er aus den Nachrichten erfahren, dass so gut wie alle ertrunken sind.

Als er mir davon erzählt, wirkt er so wie immer: ruhig, jedenfalls nicht zornig oder traurig. Zuerst wundert mich das. Dann ahne ich, weshalb das so ist. Er hat verstanden. Er hat verstanden: Soviel zählt das Leben. Das Leben eines Afrikaners in Europa. So wenig. Es war auch die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten damals. Wie jetzt. Und ich habe gespürt, dass ich nicht wie sonst auf Pfingsten zugehen kann; dass da irgendwas nicht passt. Wie sollte ich mich daran freuen, dass der Heilige Geist offenbar die Verwirrung der Sprachen auflöst und die Menschen einander plötzlich verstehen können? Ich wusste ja, dass das wieder in den Kirchen verkündet wird, so wie heute – als ein Hinweis darauf, dass Gottes Geist wirkt: Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. Wie konnte ich daran glauben, wo doch gerade hunderte von Menschen im Mittelmeer ertrunken waren? Und das, weil dort niemand etwas verstanden hat. Die Gier nach Profit und die Gleichgültigkeit, die daraus sprachen, hatten mich regelrecht in Schock versetzt.

Und doch hatte ich etwas verstanden: Dass einer die Sprache des anderen versteht, das ist bloß eine Art Krücke, an der wir uns festhalten können, um wenigstens eine kleine Ahnung zu bekommen von dem, was Pfingsten ist. Ich habe vor drei Jahren verstanden, dass es dabei nicht um Sprache geht, sondern um etwas, das viel grundsätzlicher ist. Der Geist, der von Gott ausgeht, will, dass wir lernen, die Menschen zu lieben. Die Juden die Syrer, die Römer die Eritreer. Nicht nur die Sprache zu lernen, sondern jede Person zu lieben. Das bewirkt der Geist, wenn ich ihn lasse. Und nur dann gibt es einen Grund, heute Pfingsten zu feiern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19796
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