Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Das Wasser des Lebens sprudelte unablässig und ohne Anstrengung aus einem natürlichen Brunnen. Die Menschen kamen von überall her, um von diesem Wasser zu trinken. Sie spürten, dass es sie erfrischte und nährte. Eines Tages meinten einige Leute, einen Zaun um den Brunnen bauen zu müssen, Eintrittsgeld verlangen und Vorschriften machen zu müssen, wer Zutritt zum Brunnen bekäme und wer nicht. 

Das Wasser ärgerte sich so sehr darüber, dass es sich einen anderen Ort suchte. Die Leute, die den Zugang zum Brunnen kontrollierten, bemerkten das gar nicht. Sie waren zu sehr beschäftigt mit ihren Vorschriften und Machtansprüchen. Und sie fuhren fort, das restliche Wasser teuer zu verkaufen. 

Doch die Menschen merkten, dass die Quelle ihre ursprüngliche Kraft verloren hatte. Sie machten sich auf die Suche nach dem Ort, wo sie jetzt sprudelte.“ * 

Wenn ich mich frage, wie es mit meiner krisengeschüttelten katholischen Kirche weitergeht – dann muss ich an diese Geschichte denken. 

Will meine Kirche ein Ort sein, an dem die Menschen das lebendige, nährende Wasser finden – dann halte ich eine radikale Wende für unausweichlich. Dann muss sich die Reihenfolge ändern: Zuerst kommt der Mensch und sein Schicksal – dann die wahre Lehre und die Moral. Dann müssen so manche heiligen Wahrheiten zurücktreten und einem Verhalten Platz machen, wie es Jesus gerecht wird. 

Für diese Wende steht Papst Franziskus. Nach seinem Verständnis muss die heilende und befreiende Kraft der Botschaft Jesu wieder zum entscheidenden Maßstab für christliches Handeln werden. Dann muss die Kirche - sagt Papst Franziskus - wieder mehr „Verständnis für menschliches Scheitern“ zeigen. 

Ich freue mich über diesen Mann, über seine Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit. Und ich hoffe, dass vielerorts in unserer Kirche das lebendige Wasser endlich wieder sprudelt. Lebendiges Wasser aber auch weit über den Raum der Kirche hinaus. Papst Franziskus wehrt sich entschieden gegen einen „enthemmten Kapitalismus“. Er fordert eindringlich Solidarität mit Menschen in Not und soziale Gerechtigkeit. Sein erster Blick richtet sich auf die Armen, auf die Würde von Kindern und Frauen, auf die Situation der Flüchtlinge. – Für ihn ist ohne Liebe auf dieser Welt nichts wahr. 

 *  Gefunden – und leicht verändert – bei Wunibald Müller,

   in: Publik Forum Nr. 21 (2014), S. 31

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19531
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