SWR1 3vor8

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„Das Kreuz ist das Kürzel für das menschliche Gesicht. Tritt vor den Spiegel, betrachte dein Angesicht. Du wirst sehen, es ist ein Kreuz darin markiert, wo auch immer.“ Diese Sätze stammen von dem österreichischen Maler Arnulf Rainer. Er ist 1929 geboren und hat sein Leben lang Kreuze gemalt. Offenbar fasziniert vom menschlichen Gesicht und dem Symbol des Kreuzes. Das besondere bei ihm ist, daß er seine Kreuze wieder und wieder übermalt hat, immer wieder hat er neue Farben auf die alten Farbschichten aufgetragen, oft mit bloßen Händen und über viele Jahre hinweg. Da tut er als Künstler etwas, das viele Menschen in ihrem Glauben immer wieder erleben. Auch für mich hat sich das Bild des Kreuzes im Lauf des Lebens verändert. Es ist und bleibt für mich vor allem das Kreuz, an dem Jesus gestorben ist. Und es sieht für mich immer wieder anders aus. Da ist Jesus als der, der lieber leidet und stirbt, als selber Gewalt anzuwenden. Da ist er der Mensch, der für alle steht, der das furchtbare Geheimnis verkörpert, daß wir Menschen leiden. Da breitet er am Kreuz die Arme aus, und zeigt so, daß Gottes Arme geöffnet sind für jeden Menschen.

Für Arnulf Rainer ist das Kreuz wie ein Stenogramm des menschlichen Gesichts. Kürzel des Gesichts nennt er es. Ich verstehe das zunächst optisch: Stirn, Mund, beide Augen. Wenn man diese Punkte verbindet, entsteht ein Kreuz. Aber das Kreuz ist auch existenziell mit dem menschlichen Leben verbunden. Es ist da im Leben jedes Menschen, als Ort unserer Leiden. Heute ist Karfreitag, da geht mein Blick unweigerlich auch auf die Kreuze von uns Menschen, die vielfach noch schwerer sein mögen als das Kreuz Jesu. In Arnulf Rainers Kreuzen kommen immer wieder auch helle, kräftige Farben vor: gelb, rot grün. Hier wird das Kreuz auch Symbol neuen Lebens, das den Tod nicht auslöscht, und doch stärker ist als der Tod. Arnulf Rainers Kreuze machen mir Mut, mich nicht auf Eines festzulegen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19522
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