Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Lange Zeit schon ist er in Kriegsgefangenschaft. Kontakt in die Heimat gibt es nicht. Er schreibt zwar Briefe, doch sie werden nicht ankommen: Gefangenen ist es verboten zu schreiben. Eines Tages erreicht ihn aber doch ein Päckchen. Zerfetzt, durchnässt, verbeult. Es war wohl lange unterwegs. Seine Augen strahlen als er sieht, was sich im Päckchen verbirgt: selbstgemachtes Gebäck von seiner Frau. Sicher, es ist schon lange verdorben und eigentlich nicht mehr essbar. Und trotzdem schiebt er sich voll Genuss eines der Plätzchen in den Mund. In einem der Briefe an seine Frau ist er voller Dankbarkeit und Freude. Kein Wort darüber, in welchem Zustand das Päckchen ankam. Nur der Dank und der Satz: Mir war als hätte ich in dem Gebäck deine Liebe gegessen. 

Mich berührt besonders der letzte Satz in dieser Erzählung. Er steckt voller Zärtlichkeit: „Mir war als hätte ich deine Liebe gegessen.“ Wie gut muss es dem Gefangenen getan haben, dass er nicht vergessen ist. Dass seine Einsamkeit durchbrochen wurde. Ich glaube, in jedem Menschen steckt ein Stück von dem „Gefangenen“ aus der Geschichte. Auch wenn wir nicht äußerlich gefangen sind, sehnen wir uns nach guten Worten, nach Augen, die uns anschauen und uns sagen: du bist mir wichtig. Ich brauche dich. Ich kann nicht ohne dich sein. 

Wenn heute, am Gründonnerstag, Christen überall auf der Welt Brot und Wein teilen, dann erinnern sie sich an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Freunden. Über Jahrtausende hinweg ist dieses Mahl ein Zeichen der Gemeinschaft geworden. Der Gemeinschaft der Menschen untereinander, aber auch der Gemeinschaft mit Gott. 

„Ich habe deine Liebe gegessen.“ Der Satz aus der Geschichte ist für mich wie eine Antwort auf das Brot, das ich im Gottesdienst in die Hand gelegt bekomme. Im Brot beantwortet Gott meinen Hunger nach Zärtlichkeit und Anerkennung. Er schaut mich an. Er umarmt mich. Er schenkt sich mir. Er sagt mir, du bist mir wichtig, ich brauche dich. Wenn ich dieses Brot esse, dann wird auch meine Einsamkeit durchbrochen. Gott will mir so nah wie möglich sein. 

Um diese Nähe zu erfahren, braucht es aber meinen Glauben. Ohne ihn bleibt das Brot einfach Brot. Es ist, wie in der Erzählung. Wäre das Paket bei einem anderen Menschen gelandet – derjenige hätte nur altes Gebäck gefunden. Wenn ich es aber als Geschenk für mich empfange, dann kann ich auch sagen: Ich habe deine Liebe gegessen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19488
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