Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Dreizehn Leute und ebenso viele Klappstühle, zwei Tapeziertische, Teller, Gläser, Brot und Kelch. Das reicht, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Davon sind die Initiatoren der Aktion „Ma(h)l ganz anders“ überzeugt. Mahl mit h, aber das h steht in Klammern. Morgen Nachmittag sind die 13 Personen mit ihren Requisiten in der Innenstadt von Frankfurt unterwegs. Auf belebten Plätzen bauen sie in aller Ruhe die Tapeziertische auf, decken den Tisch mit Tellern, Bechern, Brot und Kelch und setzen sich. Es entsteht ein lebendiges Standbild des berühmten Abendmahl- Gemäldes von Leonardo da Vinci. „Ma(h)l ganz anders“

Vor vier Jahren gab es die Aktion zum ersten Mal in Hamburg, und die Reaktionen der Passanten waren ganz unterschiedlich. Je nachdem, wie weit die Szene gediehen ist, geht ein „Aha“ über die Gesichter, viele beginnen, das Standbild mit dem Original-Gemälde von Da Vinci zu vergleichen. Einige finden es eine schöne Idee und mehrmals hört man ein „Ach ja, Gründonnerstag, ich weiß.“ Manche wissen auch, was es mit dem Abendmahl auf sich hat. Jesus ist das letzte Mal mit seinen Freunden zusammen. Nach dem Essen wird Jesus gefangengenommen und muss sterben.

Das Besondere an dem lebendigen Standbild ist, dass auf ein Zeichen hin, alle Personen einfrieren und jeder beginnt, einen Ton von sich zu geben. Anfangs leise, dann immer lauter. Das Ton-Cluster wirkt bedrückend und bedrohlich. Die Szene endet damit, dass Judas, einer der Freunde Jesu, einen Sack mit Geld auf den Tisch haut und geht. Der Tisch wird wieder abgebaut, die Darsteller gehen weiter. Der Moment des Verrats schlägt wie ein Blitz in die Gemeinschaft ein: Einer aus ihrer Mitte wird Jesus verraten.

Mich beeindruckt dieser Moment. Er zeigt, dass zum Leben beides gehört: Gemeinschaft, Freude und  Fest, aber eben auch der Verrat und das Scheitern von Beziehungen. Freundschaften und Ehen können in die Brüche gehen. Ein unschönes Erlebnis genügt und mein Vertrauen in einen anderen Menschen ist schwer verletzt oder sogar zerstört. Wie die Jünger beim letzten Abendmahl bleibe ich ratlos zurück und merke, wie widersprüchlich das Leben ist.

Die Aktion „Ma(h)l ganz anders“ provoziert und macht viele Menschen nachdenklich. Ich bin froh, dass morgen, am Gründonnerstag, in vielen Kirchen das Abendmahl gefeiert wird. Mit dem Glauben, dass Jesus dabei mitten unter uns ist. Das Leben bleibt widersprüchlich, und immer wieder verraten wir einander. Aber so sehr uns das erschreckt und ratlos macht, ich glaube, das Jesus uns in all dem nicht allein lässt. In Brot und Wein ist er uns nahe und stärkt uns mitten im Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19487
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