Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Kann man lieben lernen?
Ja, hat Erich Fromm gesagt, ein Psychoanalytiker und Philosoph, der im Jahr 1900 geboren wurde. Heute hätte er Geburtstag. 1956 hat er ein Buch geschrieben: „Die Kunst des Liebens“. Dieses Buch hat viele in meiner Generation geprägt.
Ja, hat Fromm auf 150 Seiten geschrieben, lieben kann man lernen. Es ist eine Frage der Disziplin, der Konzentration und der Geduld. Daran kann man arbeiten. Und lieben lernen. Und weil ich die Menschen liebe, werde ich dann auch geliebt. Erich Fromm nennt das die reife Liebe.

Ich kenne viele, die sich ein Leben lang daran abgearbeitet haben. Und natürlich ist es gut für die langen Wegstrecken im Leben, wenn man Disziplin hat. Wenn man konzentriert bleibt auf die Beziehung zum anderen und rechtzeitig merkt, was fehlt. Natürlich ist es wichtig, Geduld zu haben, mit den anderen, aber auch mit sich selbst. Wer schnell aus der Haut fährt, richtet Flurschaden an – auch wenn er das gar nicht beabsichtigt. So gesehen ist „Die Kunst des Liebens“ ein anregendes, ein notwendiges Buch.

Wie die reife Liebe wachsen kann, das habe ich von Erich Fromm gelernt. Aber inzwischen finde ich: Das ist ganz schön anstrengend. Immer Geduld, immer Disziplin, immer Konzentration – da geht einem manchmal die Kraft aus.

Und dann? Geht dann die Liebe kaputt? Manchmal schon. Manchmal reibt sie sich auf.

Ich glaube, das haben schon viele so empfunden. Gerade auch viele Christinnen und Christen, denen ja die Nächstenliebe vor allem anderen am Herzen liegt. Von Anfang an haben die gemerkt, dass es nicht so leicht ist damit: Ich würde ja gern alles verstehen, alles dulden, alles entschuldigen. Aber ich schaffe das nicht immer. Ich habe die Kraft nicht dazu.. Nicht immer.

Einer der ersten Christen, Johannes, hat die beraten, denen die Kraft ausgegangen ist. Er hat an Gottes Liebe erinnert. Wir können lieben, weil er uns zuerst geliebt hat (1. Joh 4, 19), hat er geschrieben. Wir können lieben, weil Gott uns liebt. Erich Fromm würde das vielleicht infantile Liebe nennen. Kindliche Liebe. Kinder lieben ihre Eltern, weil die ihnen gut tun mit ihrer Liebe. Ich liebe, weil ich geliebt werde. Die Liebe des anderen gibt mir Kraft. Wenn ich spüre, dass ich geliebt werde, dann muss ich nicht unbedingt durchsetzen, was ich für richtig halte. Dann kann ich Verständnis haben und Geduld. Dass ich geliebt werde, das hält meine Liebe lebendig. Dass Gott mich liebt, macht mich fähig, zu lieben. Vielleicht ist das kindlich. Aber ich bin gern ein Kind Gottes. So kann ich lieben: konzentriert, diszipliniert und geduldig. Erwachsen eben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19437
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