SWR2 Wort zum Tag

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„Warum gibt es Kinder, die von ihren Eltern allein gelassen werden? Warum werden Kinder Opfer von Gewalt, von Drogen und Prostitution? Wie kann Gott das zulassen?“ Ein zwölfjähriges Mädchen stellte Papst Franziskus diese Fragen, als er im Januar dieses Jahres die Philippinen besuchte. Die junge Frau konnte dann nicht mehr weitersprechen und brach in Tränen aus. Ein Jahr zuvor hatte sie bei einem Tropensturm ihre Familie und ihr Zuhause verloren.

„Sie stellt die einzige Frage, auf die es keine Antwort gibt“. Das war die erste Reaktion des Papstes, während er das Mädchen in seine Arme nahm. Kein Versuch also, das Geheimnis des Bösen zu enträtseln, auch keine Absage an solche Versuche, sondern eine Geste des Tröstens und das Eingeständnis: Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Aber dann kommt doch ein Wort des Papstes, eines, das vom Leiden nichts erklärt, sondern eine andere Tür öffnet: Es lenkt den Blick auf die Nähe, die wir zum leidenden Menschen zulassen.

Das Mädchen, die junge Frau aus den Philippinen, war in Tränen ausgebrochen. Da fügt der Papst seiner öffentlich eingestandenen Ratlosigkeit den folgenden Satz hinzu: Nur wenn wir fähig sind zu weinen über Dinge, die wir erleben, nur dann können wir auch etwas verstehen und vielleicht eine Antwort geben. Nur wenn es unserem Herzen gelingt, sich von der Frage, warum Kinder leiden, zutiefst betreffen zu lassen und zu weinen, nur dann werden wir etwas verstehen. Und fähig sein zu helfen.

Papst Franziskus verweist auf Jesus von Nazareth, der Kranke heilte, der die Menschenmenge nicht hungrig weggehen ließ. Aber – so hebt er hervor – das erste, was die Evangelien von Jesus berichten, ist, dass ihm die Menschen nahegingen, dass er ergriffen wurde von Mitleid mit ihnen, ja, dass er weinte.

Selber bewegt von den Tränen der jungen Frau, erkennt Franziskus, dass es genau daran in unserer Welt fehlt. „Es fehlt die Trauer, das Weinen“, sagt er. „Nicht bei den Menschen am Rand unserer Gesellschaft: Sie weinen. Menschen, die wir abschieben, weinen, die Verachteten weinen. Wir jedoch, die keine große Not kennen, haben verlernt zu weinen, wenn es nicht um uns selber geht.“

Die Tränen eines Menschen zeigen, dass er sich von der Situation eines anderen angreifen lässt. Wer dann fragt, wie Gott das Leiden Unschuldiger zulassen kann, hält sich damit das Unglück nicht vom Leib, sondern begibt sich – wenn auch ratlos – in die Nähe dessen, der leidet. Und so verändert sich schon etwas.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19425
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