Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Alexander der Große kam einst in eine entlegene Provinz von Afrika; die Einwohner gingen ihm entgegen und brachten ihm Schalen voll goldener Äpfel und Früchte. Da sprach Alexander: „Ich bin nicht gekommen, eure Reichtümer zu sehen, sondern von euren Sitten zu lernen.“ Da führten sie ihn auf den Markt, wo ihr König Gericht hielt.

In diesem Augenblick trat gerade ein Bürger vor und sprach: „Ich kaufte von diesem Mann einen Sack voll Spreu und habe einen ansehnlichen Schatz darin gefunden. Die Spreu ist mein, aber nicht das Gold; und dieser Mann will es nicht zurücknehmen. Entscheide du nun, o König.“

Und sein Gegner, auch ein Bürger des Orts, antwortete: „Du fürchtest dich, etwas Unrechtes zu behalten; und ich sollte mich nicht fürchten, etwas Unrechtes von dir zu nehmen? Ich habe dir den Sack verkauft, mit allem, was darin ist. Er gehört dir, behalte das Deine. Entscheide du nun, o König.“ (nach Johann Gottfried Herder, Der afrikanische Rechtsspruch)

Die Geschichte geht noch weiter, aber für mich ist dieser Anfang schon die eigentliche Pointe. Denn einen Rechtsstreit stellt man sich anders vor. Vor Gericht geht man doch, um die eigenen Interessen durchzusetzen, um zu bekommen, was einem zusteht. Vor Gericht ist sich jeder selbst der Nächste. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass jemals ein Prozess angestrengt wurde, damit der Gegner mehr bekommt – und dass der das dann gar nicht annehmen will.

Die Geschichte zeigt quasi eine verkehrte Welt, und ich glaube nicht, dass sie sich in der realen Welt jemals so ereignet hat. Schade eigentlich! Denn wenn wir alle den Schalter umlegen würden und statt an uns selbst zuerst an andere denken, dann käme ja auch wieder niemand zu kurz. Und wir müssten unsere Rechte und Ansprüche nicht mit Ellbogen oder vor Gericht durchboxen.

 „Alles, was ihr euch von anderen wünscht, das tut auch ihnen!“ hat Jesus einmal gesagt (vgl. Mt 7,12). Dieses kurze, klare Wort ist als ‚die goldene Regel‘ bekannt geworden. Sie ist quasi die Anleitung für eine Welt, wie sie die Geschichte vom afrikanischen Rechtsstreit beschreibt. Dort herrscht nicht kleinliches Aufrechnen, sondern überfließende Liebe. Für unsere Logik ist es eine verkehrte Welt. Für Jesus ist es die Welt, der die Zukunft gehört. Er nennt sie ‚Reich Gottes‘.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19389
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