Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Die Macht des ersten Eindrucks! Nach nur 100 Millisekunden bildet ein Mensch sich ein Urteil über einen anderen Menschen. Das zeigen Studien. Nach noch nicht einmal 1 Sekunde wird so aus einem flüchtigen Eindruck mein Bild von einem Menschen. Wie oft liege ich mit diesem ersten Eindruck wohl falsch?
Diese Frage habe ich mir gestellt, als ich letztens in einem Magazin eine Geschichte gelesen habe: Ein Mann ist unterwegs auf einer Autobahn. Von einer Brücke sieht er ein großes Leinentuch hängen. „Mona, ich will" – steht gut sichtbar darauf. „Wie schön“, denkt sich der Mann, „wahrscheinlich die Antwort auf einen Heiratsantrag. Da hat sich jemand für diese Mona entschieden und will sein Glück nun allen mitteilen.“
Der Mann kommt zur nächsten Autobahnbrücke. Wieder ein Leinentuch. „Dich nicht!“ steht darauf: „Mona, ich will dich nicht!“, also. Die Sympathie, die der Autofahrer gerade noch für den Schreiber empfunden hat, verpufft. „Was für ein gemeiner Schuft“, denkt er jetzt. „Wenn dieser Typ Mona nicht will, ist das für sie doch schon bitter genug, aber muss er sie jetzt auch noch in aller Öffentlichkeit bloßstellen?“
Der Mann kommt an die nächste Autobahnbrücke. Wieder ein Leinentuch. Darauf steht: „verlieren. Dein Sebastian.“
„Ich will dich nicht verlieren, Dein Sebastian!“
Hier kann man sie erleben – die Macht der 100 Millisekunden, die Macht des ersten Eindrucks. Mir ging es ja so wie dem Autofahrer in der Geschichte: Erst habe ich gedacht, es geht um einen Heiratsantrag, dann bin ich sicher gewesen: hier wird gerade ein Mensch böse zurückgewiesen und dann war es doch etwas ganz anderes:
Mich hat diese Geschichte ins Grübeln gebracht. Vielleicht sollte ich mich doch nicht zu sehr auf meinen ersten Eindruck verlassen, auf den ersten Satz, den ersten Augenschein.
Das Motto der diesjährigen Aktion in der Fastenzeit kommt mir in den Sinn: „Du bist schön – Sieben Wochen ohne Runtermachen“. So könnte man das Motto auch deuten: „Ich lasse mir Zeit – Sieben Wochen ohne vorschnelle Urteile“. Eine einfache Aufgabe wird das nicht. Denn die Macht des ersten Eindrucks ist ja da. Aber wenn ich mir immer wieder klar mache, dass der erste Eindruck nicht notwendig auch der richtige Eindruck ist, dann kann ich es hoffentlich schaffen, die Menschen um mich herum immer wieder neu und liebevoll in den Blick nehmen – und das nicht nur in den Wochen vor Ostern.
Vielen Dank, Sebastian, für diese lehrreiche Aktion. Und alles Gute dir und deiner Mona!

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