Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Alle Hundebesitzer sind rücksichtslose Egoisten!“ Das ist ein Verdacht, dem auch ich mich ausgesetzt sehe. Denn mein Hund bellt zuweilen laut, wenn wir draußen sind; er kann vor Freude an einem anderen hochspringen, was sich nicht gehört, und er hinterlässt sein Geschäft in der Öffentlichkeit, wie Hunde das eben so tun. Wenn ich dann ein Tütchen aus der Tasche ziehe, um die Hinterlassenschaft meines Hundes einzusammeln, ernte ich nicht selten erstaunte Blicke. Und bekomme zu hören: „Da sind Sie aber die große Ausnahme. Vor allem Männer machen das ganz selten. Oh, wenn nur alle so wären.“ Puuh! Da hab ich grade noch mal Glück gehabt, bevor der Volkszorn über mich herein gebrochen wäre. 

Aber zuerst war da unüberhörbar jener Generalverdacht. Und der ärgert mich! Natürlich gibt es unter Hundebesitzern rücksichtslose Typen. Über die ärgere ich mich auch. Aber erst dann, wenn es soweit ist. Wenn sie tatsächlich den Hundekot auf Gehwegen oder gar Kinderspielplätzen  liegen lassen oder sich anderweitig daneben benehmen.Solange gilt für jeden die Unschuldsvermutung. Im Klartext bedeutet das: Ich unterstelle zuerst das Gute. Ich habe Vertrauen und rechne damit, dass es belohnt wird. Von dieser Grundeinstellung will ich nicht abrücken. Weil ich fest davon überzeugt bin, dass sie die wesentliche Grundlage für ein gutes Miteinander unter Menschen ist.

 

Ich gehe davon aus, dass jeder das Gefühl kennt, wenn er zu Unrecht verdächtigt wird. Das kann in Kleinigkeiten harmlos sein. Das mit den Blicken, die ich als Hundehalter abkriege, ist nicht so schlimm. Es kann aber auch zu tiefen Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft führen. Es bleibt jedenfalls nicht ohne Wirkung , wenn wir sagen oder denken: „Katholiken sind scheinheilig. Wer in einem Mercedes sitzt, dem gehört die Straße. Lehrer sind faul. Die Armen in Deutschland leben auf Kosten des Mittelstands.“ Das spaltet! Und dann stellen Sie sich bloß vor, was es für die Muslime in Deutschland und andernorts bedeuten muss, wenn sie alle über einen Kamm geschoren werden. Nach dem Motto: „Alle Muslime sind Terroristen. Sie wollen mit ihrer Religion und Kultur die unsere verdrängen. Der Islam bedroht unsere Ordnung und unser Leben.“ Wie schrecklich ist so ein Generalverdacht! Ich jedenfalls will nicht mit allen Hundebesitzern in einen Topf geworfen werden, und auch nicht mit allen Katholiken oder allen Deutschen. Ich habe meinen eigenen Kopf. Und wenn ich einen Fehler mache, dann stehe ich dafür grade. Ich persönlich. Dafür brauche ich dann auch keine pauschale Unterstützung oder General-Absolution. Muslime, Christen, Juden, Hundebesitzer und Mercedesfahrer, diese und jene, sie und ich… Alle sind Menschen. Zuerst und vor allem anderen. Und haben deshalb Vertrauen verdient.

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