Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Das Jahr 2015 hat schlecht begonnen. So viel Gewalt. So viele schreckliche Bilder. Sie stören mich. Sie machen mir Angst. Ich würde sie lieber verdrängen. Aber sie sind real. Und gegen ihre harte Realität kann ich nur dann etwas ausrichten, wenn ich ihnen Widerstand entgegen setze.

Mir steht das Bild vor Augen, wie in Berlin ein junger Mann seiner schwangeren Freundin ein Messer in den Bauch stößt. Und sie hinterher mit einem Kumpel bei lebendigem Leib verbrennt. Wie kann ein Mensch zu so etwas fähig sein? Was muss kaputt sein in ihm, dass er das überhaupt zuwege bringt, dass seine Hände dabei nicht versagen, wenn schon der Geist es offenbar nicht tut? Wie furchtbar das ist!

Ich weiß, dass in den ersten Wochen des Jahres noch viele andere schlimme Dinge geschehen sind: Terroristische Attentate, die ungezählte Menschen das Leben gekostet haben. Aber die Konfrontation mit dem Schicksal einer einzelnen Person rührt emotional mehr an, setzt sich stärker fest in meinem Kopf.

Als ich die Sendung geschrieben habe, war ich unsicher, ob ich hier überhaupt davon sprechen soll, ob ich die Hörerinnen und Hörer damit konfrontieren und so die Bilder ein weiteres Mal entstehen lassen soll. Schließlich haben sie das in den Nachrichten alles gehört oder gelesen. Und hier, vor den nächsten Meldungen, könnte etwas Erfreulicheres zur Sprache kommen. Von kirchlicher Seite. Doch dann hab ich mir gedacht: Nur was ich anschaue, kann ich auch bekämpfen. Und dazu will ich mutig sein und anderen Mut machen. Das Böse soll nicht das letzte Bild einer Sache sein, das in meinem Kopf bleibt. Das Böse darf nicht gewinnen. Aber woher sie nehmen, die anderen, die guten Bilder? Hin und wieder werden auch positive Ereignisse öffentlich. Ich vergesse nie die Meldung im Fernsehen, wie zwei Männer ein Floß aus dem Hochwasser retten, auf dem ein kleines Mädchen sitzt. Oder den Mann, der so aussieht, wie viele sich einen islamistischen Terroristen vorstellen. Er hat seine Augen verbunden und lädt Passanten ein, ihn zu umarmen. Und er wird umarmt, von vielen unterschiedlichen Menschen. So ein blindes Vertrauen ist stark. Und dann gibt es da noch die Bilder, die aus mir selbst kommen, aus meinem Inneren, aus dem Schatz meiner schönen Erfahrungen:zwei Freunde, die sich herzlich umarmen; ein Unfall, der glimpflich abgelaufen ist; Kollegen, die eine Sache gemeinsam anpacken; ein Chor aus vielen Stimmen, der eine bezwingende Melodie singt. Ich weiß nicht, ob das reicht. Aber es hilft und verhindert, dass ich am Schmerz über das Böse verzweifle.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19326
weiterlesen...