Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ein paar Monate, bevor ein väterlicher Freund gestorben ist, hat er mir gesagt: „Ich komme hier nicht mehr raus!“ Er hatte Tränen in den Augen, und seine Stimme war gebrochen dabei. Das Altenheim war seit drei Jahren sein Zuhause, aber Heimat ist es für ihn nie geworden. Er hat es eher als sein Gefängnis betrachtet. Nur alte, kranke, gebrechliche Menschen. Und er einer von ihnen.

Ich stelle folgendes klar: Mein Freund war gut versorgt. Zumal als Priester in einem katholisch geführten Hause. Es war sauber dort, und auch das Essen war in Ordnung. Die Schwestern und Pfleger haben sich liebevoll um ihn gekümmert. Freunde haben ihn regelmäßig besucht. Er hat viele Anrufe bekommen und Päckchen und Briefe. Aber Sie müssen sich vorstellen: Vorher stand mein Freund mitten im Leben. Er hatte ein Auto und einen großen Bekanntenkreis und viele Interessen. Und auf einmal, von einem Tag auf den nächsten, findet er sich in einem Heim wieder. Dort ist er fast all seiner Freiheiten und Möglichkeiten beraubt, die für ihn vorher das Leben interessant gemacht haben. Im Heim war er überflüssig. Ich sage das mit Bedacht so hart, weil mein Freund das genau so empfunden hat: Er war Last, brauchte Hilfe. Er konnte nichts mehr beisteuern. Ich habe manchmal gemerkt, wie er sich mit aller Kraft dagegen aufgelehnt hat. Dann hat er eine Idee ausgesprochen oder einen Wunsch geäußert: Noch einmal seine Schwester sehen, in die Oper gehen, ein neues Orgelbauprojekt, einen Text verfassen – so wie er es viele Jahrzehnte getan hatte.

Es hat mir weh getan, meinen Freund so zu sehen. Es hat mir um so mehr weh getan, weil ich ihm Recht geben musste: „Ja, du kommst hier nicht mehr raus! Ich kann dich nicht befreien. Ich kann dich nur besuchen. Aushalten musst du es ganz allein.“ Ich hätte ihn häufiger besuchen können. Und durch Kleinigkeiten dafür sorgen, dass er mehr am Leben draußen beteiligt ist. Aber auch dann wäre das Dilemma geblieben. Ich draußen, er drin.

Ich will einmal nicht in einem Altenheim sterben. Auch meiner Mutter wünsche ich das nicht. Ich weiß: Das bedeutet, dass ich jetzt etwas dafür tun muss. Einen lebendigen Freundeskreis pflegen zum Beispiel, wo einer sich für den anderen verantwortlich weiß. Absprachen treffen für den Ernstfall. Für die Älteren in meiner Nachbarschaft da sein, wenn sie mich brauchen. Und meiner Mutter die Tür bei mir zuhause offen halten, so lange sie lebt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19325
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