Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Mein Vater hat hin und wieder zu mir gesagt, dass er bereit wäre, sich für mich einen Arm abhacken zu lassen. Er wollte damit sagen, dass er mein Leben für wertvoller angesehen hat als sein eigenes. Ja, dass er mich so sehr liebt, dass er dafür seine eigene Unversehrheit opfern würde. Es gab Zeiten als Kind, wo mich diese Aussage schockierthat. Mir das vorzustellen, die Gewalt, die damit verbunden wäre. Ein schreckliches Bild. Aber dann hat mich die Kraft auch beeindruckt, die sich dahinter verborgen hat. Und das hat meinen Vater dann groß gemacht. Ich weiß nicht, ob ich darauf stolz war, aber es war in jedem Fall beruhigend. Zu wissen: Da ist einer, an dem muss alles erst mal vorbei, das mich bedrohen könnte.

Um so mehr hat mich ein Bild in einem Gebetbüchlein aufgeregt, das ich als Kind manchmal in der Kirche dabei hatte. Da lag ein Junge auf einem Tisch und über ihm stand ein älterer Mann, der ein Messer in der Hand hatte. Es war bedrohlich auf den Jungen gerichtet. Jeden Augenblick konnte es auf ihn herunter sausen, ihn töten. Ich habe buchstäblich die Aggression und das Unglück gespürt, das unmittelbar bevor stand. Nein, so was darf doch nicht wahr sein. Das ist ja ganz genau das Gegenteil von dem, was mich an meinem Vater so fasziniert hat. Alles in mir hat sich dagegen gewehrt.

Ich habe dann später die Geschichte zu diesem Bild kennen gelernt. Dargestellt ist darauf Abraham, der Gott Isaak zum Opfer darbringen soll. So steht’s geschrieben im Buch Genesis, ein Text, der an diesem Sonntag im katholischen Gottesdienst gelesen wird. Dann habe ich auch erfahren, dass es nie soweit gekommen ist. Der Ältere tötet den Jungen nicht. Er verschont ihn und opfert statt dessen ein Tier. Das hat mich beruhigt. Aber nur so lange, bis ich erfahren habe, dass es sich bei dem Mann mit dem Messer in der Hand um den Vater des Jungen handelt. Die Vorstellung, dass ein Vater auch nur daran denkt, die hat mich ziemlich verwirrt. Und das hatte auch etwas damit zu tun, dass ich meinen eigenen Vater so ganz anders erlebt habe. Stark und selbstlos.

Ob Abraham seinen Sohn Isaak wirklich getötet hätte, das wissen wir nicht. Gott führt Abraham zwar bis an die Grenze. Aber nur deshalb, weil dann um so deutlicher wird: Für Gott braucht keiner mehr ein Menschen-Opfer darzubringen. Und meinem Vater ist es auch erspart geblieben. Er konnte seine Liebe immer auf andere Art und Weise zeigen. Gott sei Dank.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19323
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