Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Manchmal kommt mir mein Gedächtnis vor wie ein Sieb. Da lerne oder lese ich was Tolles, bin total begeistert und nehme mir fest vor, mir alles zu merken für später. Aber - wenn ich dann auf das Gelernte zugreifen will, ist nicht mehr viel davon übrig.
Ach, könnte ich doch einfach alles Wichtige abspeichern und bei Bedarf abrufen – wie ein Computer. Dann könnte ich auf meinen Kopf wie auf eine Festplatte zugreifen und müsste mir Sachen nicht immer wieder neu merken oder Daten nachschauen.
Noch mehr ärgere ich mich allerdings, wenn auch wirkliche Aha-Erlebnisse durchs Sieb fallen.
Ein wenig tröstet es mich, dass es anderen offenbar auch so geht. Sogar den klügsten Köpfen. Paulus zum Beispiel, einem der ersten großen christlichen Denker.
Der war hoch gebildet, sehr belesen und selbst der hat zugegeben, dass er dranbleiben muss beim Lernen. Gerade wenn es um Dinge geht, die ihm besonders wichtig sind. In einem Brief erzählt er davon und gibt zu: „Nicht, dass ich schon vollkommen bin“ (Phil 3,12).
Respekt. Dieser kluge Kopf steht hier ganz offen zu seiner Unvollkommenheit. Mehr noch, er macht sogar Mut, sie wert zu schätzen.
Vielleicht weil Paulus gemerkt hat: Die Stärke des Menschen liegt manchmal darin, gerade nicht so effizient zu sein wie eine Maschine. Er hatte erlebt, als Mensch bin ich nicht vorprogrammiert, sondern kann und muss Dinge, die mir wichtig sind, oft neu lernen. Daten, Fakten, klar. Aber manchmal sogar auch das, was ich längst meine, verstanden zu haben. Über Gott, die Welt, die Menschen, mich selbst.
Das ist mitunter lästig. Gibt aber gleichzeitig die Chance, zurechtzurücken, was ich vielleicht mal anders gesehen habe. Und das ist manchmal nötig.
Bei Paulus war das so. Der hat einiges über Gott und die Welt dazu gelernt. Und die Chance genutzt, seine Sicht zu verändern. Das können eben nur unvollkommene Menschen.
Selbst wenn ich manchmal gerne ein Supergedächtnis hätte, bin ich doch auch froh, dass ich nicht vorprogrammiert bin. Das heißt zwar: ich muss öfter mal was nachschlagen – aber dafür habe ich ganz viele Chancen, immer wieder Neues zu lernen und auch mal was zurechtzurücken, wenn es nötig ist.

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