Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Kann man die Flüchtlinge von damals, nach dem 2. Weltkrieg, mit den Flüchtlingen von heute vergleichen?
„Das kann man überhaupt nicht vergleichen“, sagt die alte Dame. Sie ist 90 Jahre alt. Aber an ihre Flucht aus Ostpreußen kann sie sich noch immer gut erinnern. Als junge Frau musste sie sich damals getrennt von ihrer Familie auf den Weg machen. Einen Koffer in der Hand und die Kleider doppelt unter dem Mantel. Alles andere ist zurückgeblieben. Und hätte Sie sich damals, beim Einsteigen in den letzten Zug in den Westen, nicht als junge Mutter ausgeben können, weil eine andere Frau ihr ein Kind in den Arm gedrückt hatte, ihre Flucht wäre gescheitert. Dann wäre ihr Leben ernsthaft in Gefahr gewesen. Noch an viele solcher Begebenheiten auf der Flucht kann sie sich erinnern. An glückliche Fügungen, wie das Wiederfinden ihrer Familie. Und an schreckliche, leidvolle Erfahrungen. Doch über die spricht sie nicht gern, weil sie ihr bis heute wehtun.
„Aber vergleichen kann man uns nicht, mit den Flüchtlingen von heute. Wir waren doch Deutsche“ sagt sie. „Und die heute zu uns fliehen, das sind Ausländer. Das versteht ihr Jungen nicht.“
Ja, es ist wirklich schwer etwas zu verstehen, was man nicht selbst miterlebt hat.
Aber gibt es nicht doch viele Parallelen zwischen den Flüchtlingen von damals und heute?
Damals haben die Flüchtlinge alles verloren, ihr Vermögen, ihren Besitz, ihre gesellschaftliche Stellung, ihre Freundschaften. Sie waren nicht mehr geduldet in ihrer alten Heimat. Das erleben viele der Flüchtlinge heute auch. Viele sind unter Lebensgefahr geflohen. Damals, wie heute. Und sie trauern und haben Heimweh, auch wenn nicht dort bleiben konnten, wo sie zu Hause sind. Das geht allen Flüchtlingen so, egal zu welcher Zeit.
Ich weiß, jedes Schicksal und jede Fluchtgeschichte ist anders. Aber ich stelle mir vor, wer etwas so Schweres wie eine Flucht durchgemacht hat, der kann doch ganz anders Anteil nehmen. Und wessen Eltern oder Großeltern selbst einmal fliehen mussten,  der hat doch vielleicht erzählt bekommen, wie wichtig es gewesen ist, geachtet zu werden. Und wie unvergesslich bis heute die Menschen sind, die einfach so geholfen haben, ohne irgendwelche Vorbehalte. Flüchtlinge zu achten und zu schützen ist ein hohes Gut. Und ich hoffe: wessen Familie selbst einmal auf der Flucht war, der kann das besser verstehen als alle anderen. So sieht das übrigens auch die Bibel. Da werden die Israeliten erinnert: Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“

Diesen Gedanken können Sie in der Bibel nachlesen :
2. Mose 22,20, 2. Mose 23, 9, ähnlich auch in 3. Mose 19,33-34; 5. Mose 10,8-19

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19252
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