Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es ist noch nie so viel fotografiert worden, wie heute. Früher war irgendwann mal der Film voll – das ist schon lange vorbei. Überall, wo man hinkommt, wird fotografiert, ohne Ende. Ich glaube wirklich: Es ist noch nie so viel fotografiert worden, wie heute.
Was habe ich mich früher über die Japaner lustig gemacht, die ständig mit der Kamera in der Hand rumliefen. Und den typischen Ami erkannte man im Urlaub an seiner dicken Kamera vor dem Bauch. Heute sind es die Handys, die immer und überall gezückt werden.
Ich habe mich schon oft gefragt, wer all diese vielen Fotos daheim überhaupt noch ansieht? Früher hat man im Urlaub fotografiert oder bei einer Hochzeit und Familienfeier. Heute fotografieren die Menschen alles und jeden und das zu jeder Zeit. Ob wir bei dem vielen Fotografieren überhaupt noch einen Blick haben einen wirklich besonderen Moment?
Wissenschaftler sprechen heute von „Reizüberflutung“. Alles werde immer schneller und wir erleben heute in wenigen Jahren, was unsere Vorfahren ihr ganzes Leben nicht erlebt haben.
Weil aber alles immer schneller wird, versuchen wir den Moment mit einem Foto einzufangen, festzuhalten, einzufrieren vielleicht die Zeit so etwas anzuhalten.
Ob das gelingt? Wenn ich am Wochenende 300 Bilder knipse – wann soll ich die in Ruhe ansehen können? Reizüberflutung…das Wort hätte auch Jesus Christus vor 2000 Jahren verwenden können, als er sagte: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber doch Schaden nimmt an seiner Seele.“
Ich glaube, er hat Recht. Wir nehmen Schaden, wenn wir immer mehr in unser Leben reinpressen und unser Leben wird nicht reicher, wenn wir immer mehr Dinge in immer kürzerer Zeit erleben. Vielleicht nehmen wir dabei wirklich Schaden an unserer Seele?
Als ich letzten Sommer in einem alten Kloster war, habe ich für mich das schönste Bild gemacht: Ich habe mich auf eine Mauer gesetzt und eine halbe Stunde dieses alte Kloster angesehen. Was haben die Menschen wohl gedacht, als sie das alles bauten, als sie hier mit Gott und für Gott gelebt haben? Für dieses Bild habe ich kein Foto gebraucht, nur etwas Zeit. In solchen Moment kann unsere Seele heilen, kann ankommen und geht uns nicht verloren.
Für die besten Bilder im Leben brauche ich keine Kamera, aber Zeit und etwas Ruhe.

 

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