Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Darf man Menschen foltern?“. Ich finde, da darf es nur eine Antwort geben: Nein, man darf es nicht.
Deshalb hat es mich auch der Bericht des US-Senats erschreckt, der vor Kurzem veröffentlicht wurde. Dort wird beschrieben, wie CIA-Geheimdienstmitarbeiter nach den Anschlägen vom 11. September mit Terrorverdächtigen umgegangen sind. Man hat sie systematisch gefoltert. Manche hat man so lange drangsaliert, bis sie gestorben sind.
Ich bin kein Freund von Prinzipienreiterei. Aber, wenn es um die Menschenwürde geht, finde ich feste Grundsätze ohne jeden Spielraum unbedingt notwendig. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben eigentlich dieses Prinzip, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben ist: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“, heißt es da.
Trotzdem haben die USA gefoltert. Warum? Weil die Verantwortlichen angefangen haben zu rechnen. „Was bringt den größten Nutzen?“ hat die Rechenaufgabe geheißen. Und das Ergebnis: Wenn die Folter eines Menschen dazu führt, dass andere Menschen dadurch gerettet werden, dann ist Foltern in Ordnung.
Klingt einleuchtend. Und auch ich finde die Frage „Was bringt den größten Nutzen?“ oft im Leben sinnvoll und berechtigt. Aber sobald es um die elementaren Dinge geht - um Gerechtigkeit, um Gleichheit und die Würde eines Menschen – darf man so nicht mehr fragen. Einfach weil sie zu kostbar sind.
Denn wer rechnet, der kann sich auch verrechnen. Und wer rechnet, kann sich die Dinge auch nach den eigenen Interessen zurecht rechnen – bewusst oder unbewusst. Ich vermute, auch der Selbstmordattentäter, der in irgendeiner arabischen Stadt andere Menschen in den Tod reißt, hat vorher gerechnet. Und auch er ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass seine Tat insgesamt mehr nützt als schadet. Das unterscheidet die Moral von der Mathematik: Bei der Moral kommt es immer darauf an, wer rechnet.
 „Lass dich nicht vom Bösen überwinden“ (Römer 12,21) rät der Apostel Paulus in einem seiner Briefe. Und er weist damit auf eine Gefahr hin: Wer das Böse bekämpfen will, der kann dabei leicht seine eigenen Werte verlieren und selbst böse werden. Ich frage mich: Wenn westliche Geheimdienste mit ähnlichen Methoden arbeiten wie die Terroristen - wo ist dann der Unterschied? Sind sie dann nicht genauso?
In vielen Bereichen des Lebens mag ich keine Prinzipienreiterei. Aber ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen in diesem Punkt feste Prinzipien haben und den Satz ernst nehmen, mit dem auch unser Grundgesetz beginnt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18942
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