Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wer nicht für die Juden schreit, darf auch nicht gregorianisch singen.“ Hat Dietrich Bonhoeffer allen Christen ins Stammbuch geschrieben. Vor 70 Jahren. Als er miterlebt hat, wie der Antisemitismus in Deutschland zur Judenvernichtung geführt hat.
Man kann als Christ nicht auf der einen Seite von Herzen fromme Lieder singen und andererseits sein Herz verschließen, wenn jüdische Mitbürger drangsaliert, verfolgt und umgebracht werden. Hat Bonhoeffer damals gemeint. Wer ein Herz zum Singen hat, der sollte auch das Herz haben für Menschen den Mund aufzumachen.
Warum komm ich darauf heute, kurz vor Weihnachten 2014?
Mir ist klar geworden, wenn ich heute Weihnachtslieder singe, dann übernehme ich auch Verantwortung für andere Menschen. Dann werde ich heute hoffentlich auch bereit sein, für andere Menschen einzustehen.
Ich denke zB an ein Weihnachtslied, das ich sehr mag.
„Es ist ein Ros entsprungen.“ Da heißt es in der ersten Strophe:
„Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart.
Wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art.“
Die Rose, damit ist Jesus gemeint. Mitten in der Kälte des Winters öffnet seine Geburt einem das Herz. Dass man an Weihnachten gar nicht anders kann als zu singen. Aber Jesus ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Er hat Wurzeln. Jüdische. „Von Jesse kam die Art“, singt man. Jesse, das war der Vater vom jüdischen König David: Isai. Jesu Stammbaum reicht also weit zurück ins Judentum. Jesus war durch und durch Jude. Daran erinnert das Lied „Es ist ein Ros entsprungen“. An Weihnachten. Und wenn ich das singe, dann steh ich auch im Alltag dafür ein.
Heute gibt es ja wieder jüdische Gemeinden bei uns, in vielen Städten Synagogen und aktives jüdisches Leben.
Aber die Synagogen müssen intensiv von der Polizei bewacht werden. Schlimm. Damit nichts passiert. In diesem Jahr hat es heftige antisemitische Attacken gegeben gegen Deutsche, nur weil sie jüdischen Glaubens sind. Als Israel Gaza bombardiert hat. Als hätten sie eine Mitschuld daran, sind jüdische Deutsche deswegen beschimpft, bedroht und attackiert worden. Viele von ihnen haben heute wieder Angst im eigenen Land.
„Wer nicht für die Juden schreit, der darf auch nicht gregorianisch singen“ hat Dietrich Bonhoeffer vor 70 Jahren gesagt. Ich finde, als Christen sollten wir uns davon eine Scheibe abschneiden. Wenn mir bei „es ist ein Ros entsprungen“ das Herz aufgeht, dann will ich für die jüdischen Mitbürger auch mein Herz öffnen und meinen Mund.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18875
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