Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Rahab war eine Hure. Sie hat ihre Stadt verraten, um ihre Familie zu retten. Ihre Geschichte ist wie aus dem Kino, mit Licht und Schatten. Zwiespältig und fragwürdig ist das, was sie getan hat. Und trotzdem steht Rahab im Stammbaum von Jesus. Matthäus, der das erste Evangelium der Bibel geschrieben hat, hat sie da ausdrücklich hinein geschrieben. Warum er das wohl getan hat? Wer möchte so eine Frau schon in seinem Stammbaum haben. Eine Verräterin. Eine Hure?
Dies ist ihre Geschichte (Jos 2, 1-24): Die Israeliten waren durch die Wüste gezogen und jetzt dabei, das Land zu erobern, in dem sie wohnen wollten. Da sind sie zuerst auf die Stadt Jericho gestoßen. Zwei Kundschafter wurden ausgeschickt um die Stadt zu erkunden. Die haben – wieso eigentlich gerade dort– Unterschlupf gefunden bei der Hure Rahab. Aber es wird bekannt in der Stadt, dass sie dort sind. Da verlangt man von Rahab, dass sie die beiden Männer herausgibt. Aber sie versteckt die Männer und schickt die Verfolger auf eine falsche Fährte. Dann lässt sie die Kundschafter an einem Seil aus ihrem Fenster herunter. Zum Glück steht ihr Haus direkt an der Stadtmauer. Rahab tut das aber durchaus nicht uneigennützig. Die beiden Männer müssen ihr schwören, dass Rahabs Familie geschont wird, wenn die Stadt erobert wird. Sie versprechen das. Und als es so weit ist, stehen sie zu ihrem Wort. Rahab hat ihre Familie gerettet – und ihre Stadt verraten.
Sie hat offensichtlich realistisch eingeschätzt, was kommen würde. Widerstand wäre zwecklos, das hat sie wohl erkannt. Also versucht sie, sich und ihre Familie zu retten. Was hätte sie sonst tun sollen? Die Kundschafter ausliefern? Wäre dann die Stadt gerettet? Oder ihre eigene Stadt zu Verhandlungen bewegen? Anscheinend hat Rahab das für sinnlos gehalten. Außenseiterin die sie war.
Rahab hat nüchtern kalkuliert. Sie war nicht kopflos vor Angst. Sie überlegt, was sie tun kann. Und rettet ihre Familie. Was hätten Sie getan?
Ich fürchte, es gibt solche Situationen, in denen man sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss. Und beide sind schlimm. Aber warum wird diese Rahab im Stammbaum von Jesus erwähnt. Wäre es nicht besser gewesen, über so eine Frau zu schweigen?
Ich glaube, dass sie da steht,  zeigt:Jesus weiß, dass es solche Situationen gibt. Wo man abwägen muss, was das weniger Schlechte ist. Wo man sich schuldig macht, ganz gleich, was man tut. Ich glaube, Jesus hätte Verständnis für Rahab gehabt. Und für alle die nach ihr in so einem Dilemma  stecken.

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