Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Kennen Sie den Film „Die Braut, die sich nicht traut“ mit Julia Roberts? Sie spielt darin Maggie Carpenter, eine Frau, die panische Angst vor der Ehe hat. Schon drei Mal stand sie mit ihrem Auserwählten vor dem Traualtar und jedes Mal bekam sie im letzten Moment kalte Füße und nahm Reißaus. Der Film übertreibt und karikiert natürlich. Doch solche Bindungsängste sind mir als Pastor durchaus schon im Vorfeld von Trauungen begegnet.
Aber auch in anderen Lebensbereichen kenne ich die Angst sich festzulegen und zu binden. Wenn jemand einen Partner für ein schwieriges Projekt sucht, oder wenn ein Freund eine größere Summe Geld leihen möchte. Immer geht es um die Frage, wie weit ich dem anderen vertrauen kann? Dann nagt der Zweifel in mir und lässt mich das Schlimmste befürchten. Und manchmal zögert man dann so lange, bis sich die Angelegenheit von selbst erledigt hat. Auch Eifersucht und Misstrauen haben hier ihre Ursache: Ich wäre mir so gerne völlig sicher, hätte gerne glasklare, unstrittige Beweise. Aber das heißt nichts anderes als: ich hätte den anderen gerne völlig unter Kontrolle. Doch in Beziehungen kann es diese Sicherheit nicht geben. Ich darf mir nichts vormachen: Jeder Mensch, auf den ich mich einlasse, hat auch seine Schattenseiten und je mehr ich ihn kennenlerne, desto deutlicher werde ich sie zu spüren bekommen.
Das bedeutet: Ich muss mit dem Zweifel am anderen leben. Oder ich muss in meinem Leben auf Beziehungen verzichten, was natürlich nicht geht. Mir bleibt nichts anderes, als die Ungewissheit, das Rätselhafte und Problematische am anderen zu ertragen oder, mit einem Fremdwort ausgedrückt, zu tolerieren.
Tolerieren meint natürlich nicht, alles gutheißen, oder mich blauäugig und naiv irgendeinem anderen auszuliefern. Aber ich muss Abstriche von meinem Ideal machen. Ich selbst genüge dem ja nicht einmal! Und der andere muss sich ja auch bei mir auf ein Abenteuer und auf Enttäuschungen einlassen.
Bei Toleranz geht um mehr als nur den Appell: Sei nicht so kleinlich und misstrauisch. Tolerant zu sein meint: sei großzügig und nachsichtig, aber auch nüchtern. Gestalte deine Beziehungen behutsam und vertrauensvoll, trotz aller begründeten Zweifel. Der Apostel Paulus schreibt einmal: „Ertragt einander in Liebe“ (Epheser 4,2). Anders geht es auch gar nicht.

 

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