Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Vor ein paar Wochen sah ich bei Markus Lanz ein Interview mit Peter Plate, einem der beiden Partner des deutschen Erfolgsduos Rosenstolz. Mich hat beeindruckt, wie offen dieser Mann von seinen Panikattacken auf der Bühne gesprochen hat, von dem Widerspruch zwischen der strahlenden Darstellung nach außen und seiner tatsächlichen Schwäche im Innern. Er sagte: „Ich stand auf der Bühne und dachte: Ich bin der große Peter von Rosenstolz – aber eigentlich fühle ich mich ganz klein. …Wie bin ich in diese Rolle hineingeraten? Was ist da mit mir geschehen?“
Zweifel an mir selbst? Normalerweise denken wir, so etwas dürfe nicht sein. Aber solche Verunsicherungen kennt doch wahrscheinlich jeder, auch diejenigen, bei denen wir es gar nicht vermuten würden: Stars auf der Bühne, Politiker im Interview, Chefs, Dozenten, die Schönen und Reichen, die scheinbar alles haben. Ja mehr noch, ich denke, es ist geradezu notwendig, dass wir uns in Frage stellen und darüber nachdenken, wer wir wirklich sind und wie das zusammenpasst, was wir tun.
Angenehm sind sie nicht, diese Zweifel an mir selbst. Wir möchten gerne alles klar wissen und fest im Griff haben. Alles andere verunsichert uns nämlich. Und damit gar kein Zweifel an uns aufkommt, spielen wir uns und anderen den Starken vor. Dabei weiß doch jeder – oder ahnt es zumindest – dass Menschen so nicht sind. Wir alle sind in Wahrheit vielschichtig und widersprüchlich.
Das ist schwer zu ertragen. Aber so und nicht anders sind wir Menschen nach dem Sündenfall – so sagt der Apostel Paulus in der Bibel: „Wir bringen es zwar fertig, uns das Gute vorzunehmen; aber wir sind zu schwach, es auszuführen. Wir tun nicht das Gute, das wir wollen, sondern gerade das Böse, das wir nicht wollen.“ (Römer 7,18-19 GNB)

Wissen Sie, wie man solch eine Abweichung vom eigentlich gewollten in der Technik nennt? – Toleranz. Für einen Schlosserlehrling beträgt die Toleranz bei der Herstellung eines Gesellenstücks den Bruchteil eines Millimeters.
Bei unserem Leben ist die Differenz zwischen dem eigenen Anspruch und der Realität ungleich größer. Sie lässt unser „Werkstück Leben“ so wackelig erscheinen. Aber vielleicht müssen wir es lernen, diese Verunsicherung zu tolerieren? Gott jedenfalls tut genau das. Nicht weil es ihm gleichgültig ist, wie und in welchem Maße wir von seinen Vorgaben abweichen. Im Gegenteil: Er gibt uns Maßstäbe an die Hand, eine Vorlage für die Gestaltung unseres Lebens. Aber er erträgt auch unsere Widersprüchlichkeit und Unzulänglichkeit. Weil er uns liebt.Mir macht das Mut, mit meinen Selbstzweifeln zu leben, sie zu ertragen und mich ihnen zu stellen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18680
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