Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Rasch ist es so richtig Herbst geworden. Je älter ich werde, desto zwiespältiger erlebe ich diese Jahreszeit. Einerseits freue ich mich am Farbenspiel der Natur, wenn sich die Blätter an den Bäumen bunt verfärben – andererseits macht es mich beklommen, wie schnell die ganze Pracht vorbei ist, die Blätter welk am Boden liegen und vor sich hin faulen.

So geht’s auch mir mit meinem Menschenleben – geht mir durch den Sinn.

Die Jahreszeiten in der Natur, die mir die Bäume im Lauf des Jahres widerspiegeln, sie sind zugleich die Jahreszeiten meines Lebens. Und ich weiß nicht in welcher ich mich im Moment befinde. Aber eins ist gewiss, auch für mich ist immer wieder Herbst. Zeit der Fülle, Zeit der Ernte, Zeit um Abschied zu nehmen und loszulassen.

Manchmal stell ich mir vor, die Tage meines Lebens seien die Blätter an meinem Lebensbaum. Welche Farben werden meine Blätter haben? wie werden sie sich verwandeln und mir erscheinen im Herbst meines Lebens? Werden sie eher Ton in Ton sein oder recht bunt, wird dieser Baum meines Lebens Früchte tragen, die von anderen geerntet und genützt werden können? So seltsam diese Gedanken mir manchmal selbst vorkommen, so tröstlich sind diese Bilder.

Ich hoffe, dass  meine Blätter, meine Lebenstage nicht ins Bodenlose fallen, sondern guten Grund finden werden, in dem sie aufgehoben sind, so wie sie sind und waren. Und ich denk mir oft, wie gut, dass uns die Natur mit jedem Jahreslauf das schon mal einüben lässt …dass ich loslassen muss, die Brachzeit im Winter aushalten und vertrauen darf, dass es wieder Frühling wird.

 Hilde Domin bringt diese Gewissheit, dass es neues Leben mitten in Tod und Abschiednehmen gibt in einem kurzen, schlichten Gedicht auf den Punkt. Sie schreibt:

Es knospt
Es knospt
unter den Blättern
sie nennen das Herbst

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18572
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