Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Mein Sohn glaubt, er ist homosexuell! Bitte reden Sie mit ihm! Wenn Sie ihm sagen, dass Gott das nicht will, überlegt er es sich vielleicht noch mal!“
So hat mir ein 18jähriger von dem Gespräch seiner Mutter mit einem Pfarrer erzählt. 2 Jahre ist sein Coming Out her. Lange hat er versucht, seine Gefühle zu unterdrücken, ist immer depressiver geworden, immer schlechter in der Schule. Mit 16 hat er sich dann eingestanden: ich bin homosexuell, daran ist nichts zu ändern. Dass das für seine Mutter ein Schock sein würde, hat er gewusst. Für sie ist Homosexualität Sünde, so steht es in der Bibel.
Als er sich ihr endlich offenbart hatte, kam es, wie erwartet: Zuerst hat seine Mutter nur geweint, dann hat sie auf ihn eingeredet, dass sich das bestimmt geben würde. Und dann ist sie auf die Idee gekommen, mit ihm zum Pfarrer zu gehen, damit der ihm ins Gewissen redet. Nicht zum Gemeindepfarrer, das war ihr zu heikel, sie hat einen anderen ausgesucht. „Ich glaube, dabei hatte Gott seine Finger im Spiel“, erzählt der junge Mann lächelnd. Denn das Gespräch ist anders abgelaufen, als seine Mutter es geplant hatte: „Was ist Ihnen wichtiger: dass Ihr Sohn sich von Ihnen geliebt weiß oder dass er die „richtige“ (in Anführungsstrichen) Sexualität hat?“, hat sie der Pfarrer gefragt. Und dann hat er ihr gesagt, dass in seinen Augen Homosexualität keine Sünde ist. Und dass er es gerade in dieser für ihren Sohn so schwierigen Zeit wichtig findet, dass der eines ganz sicher weiß: Dass er geliebt wird –  von seiner Mutter und von Gott.
Heute ist der Internationale Coming Out-Tag. Ein wichtiger Tag, finde ich. Denn es ist viel zu wenig bekannt, wie schwierig die Zeit des Coming Outs für lesbische und schwule Jugendliche ist und wie wenig Unterstützung die meisten bekommen: von Eltern, Lehrern, Mitschülern – und von der Kirche. Denn auch viele Christinnen und Christen haben Probleme damit, Homosexualität zu akzeptieren. Schließlich gibt es dazu eindeutige Worte in der Bibel.
Ich finde, dabei wird vergessen, dass diese Bibelworte Moralvorstellungen wiedergeben, die zu der damaligen Zeit üblich waren. Solche moralischen Verbote und Gebote gibt es viele in der Bibel, teilweise widersprechen sie sich sogar. Ich denke: Gottes Liebe ist der Maßstab, an dem sich diese Worte messen lassen müssen – auch die über Homosexualität. Und wenn wir Christen uneinig sind, wie man sich richtig verhalten soll, gibt es dafür einen guten Ratschlag: „Ertragt einer den anderen in Liebe“ (Eph 4,2). Der Satz steht auch in der Bibel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18411
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