Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Umkehren ist was für Versager!“ Mein Mann sagt das manchmal scherzhaft, wenn er sich in einer fremden Stadt verfahren hat. Und ein bisschen hat er da ja auch Recht. Um umzukehren braucht es die Einsicht: ich bin auf dem falschen Weg. Und sich das einzugestehen, fällt gar nicht so leicht. Dazu muss ich ja zugeben, dass ich einen Fehler gemacht habe. Im Urlaub habe ich das eindrücklich in dem Buch „Das Seil“ von Stefan aus dem Siepen beschrieben gefunden.
Da findet in einem Dorf, fernab von irgendeiner Welt, ein Bauer am Waldrand den Anfang eines Seils. Er folgt dem Seil in den Wald und kehrt nach ein paar Stunden ratlos zurück: das Seil nimmt kein Ende. Am nächsten Tag machen sich alle Männer des Dorfes auf, das Rätsel des Seils zu lösen. Einen Tagesmarsch haben sie sich vorgenommen, aber als sie abends das Ende des Seils noch nicht erreicht haben, gehen sie weiter. Tag für Tag. Den Schritt zur Umkehr schaffen sie erst, als es zur Katastrophe kommt: ein Überfall durch Wölfe, ein Todesfall, ein Mord. Und dem Leser wird klar: die Umkehr kommt viel zu spät!
„Wenn wir umkehren, stehen wir als lächerliche Versager da!“ sagen sich die Bauern in dem Buch. Immer dann, wenn leise Zweifel in ihn aufkommen, ob sie nicht doch auf dem Irrweg sind.
Jesus hat viele Menschen dazu gebracht, umzukehren und etwas Neues anzufangen. Zu keinem hat er dabei gesagt, dass er ein Versager ist. Nicht zu dem Zöllner, der seine Landsleute betrogen hat, nicht zu der Frau, die alle die Sünderin nennen. Jesus wollte den Menschen nicht zeigen, was in ihrem Leben alles falsch gelaufen ist, er wollte ihnen lieber zeigen, was alles noch Gutes vor ihnen liegt. Denn für Jesus war ganz klar: Umkehr macht den Weg frei für einen Neuanfang und für neue Perspektiven.
Das sehen die nicht, die meinen „Umkehren ist was für Versager“. Und das denken, glaube ich, viele Menschen: Eltern schicken ihren Sohn aufs Gymnasium, um ihm die besten Chancen zu ermöglichen, aber er kommt einfach nicht mit. Jemand arbeitet seit 10 Jahren in einem Beruf und spürt tief im Inneren: die Arbeit ist nicht das Richtige für mich! Jemand seit 15 Jahren verheiratet und weiß eigentlich schon seit Jahren: glücklich bin ich nicht.
Da braucht es Mut dazu, sich einzugestehen, dass der eingeschlagene Weg falsch, ein Lebenstraum geplatzt, eine Perspektive zerbrochen, eine Beziehung gescheitert ist. Mut und Menschen, die einem bei der Umkehr zur Seite stehen. Und die leise zur Sprache bringen: Umkehren bedeutet nicht nur Scheitern, sondern auch Neu anfangen und neue Perspektiven.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18407
weiterlesen...