Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Was fühlen Sie gerade? Jetzt in diesem Augenblick! Während Sie aufwachen, beim Zähneputzen, solange Sie frühstücken, beim Auto fahren. Was fühlen Sie dabei? Es ist normal wenn Sie das nicht wissen und nicht sagen können. Wir sind es nicht gewohnt zu fühlen, was wir fühlen. Und doch tun wir es in jedem Augenblick. Wir fühlen so wie wir atmen. Selbstverständlich, oft unbemerkt. Wenn Gefühle stark sind, ist es anders. Wenn wir uns freuen und glücklich sind, fühlen wir gerne. Anders ist es, wenn wir Angst haben oder traurig sind.

Ich habe eine Frau, die Menschen in Krisen begleitet einmal gefragt: „Was soll ich denn machen wenn es mir weh tut, dass in meinem Leben alles anders ist als ich das erhofft habe. Wie kann ich denn damit Frieden finden?“ Sie hat geantwortet: „Bleiben Sie einfach ganz gegenwärtig. Lassen Sie das Gefühl zu. Heißen Sie es willkommen. Laufen Sie nicht davon; gehen Sie nicht zum Kühlschrank um es mit etwas Essbarem zuzudecken; schalten Sie nicht den Fernseher ein, um sich abzulenken. Halten Sie inne und fühlen Sie was da auftaucht. Wenn Sie nicht versuchen, sich abzulenken, den Schmerz zu verdrängen oder ihn jemandem anderen aufzuhalsen, wenn Sie ganz still bleiben, dann werden Sie im tiefsten Kern des Schmerzes Frieden finden.“

Was für eine radikale Idee. Bisher habe ich alles getan, was möglich ist, um Schmerz, Angst und Trauer zu vermeiden oder zu vertreiben. Diese Frau sagt: „Laufen Sie nicht davon. Bleiben Sie gegenwärtig. Lassen Sie das Gefühl zu.“ Ich war überrascht und misstrauisch. Trotzdem habe ich mich darauf eingelassen. Wenn diese tief gläubige Frau das sagt, die selbst schon so viel durch gestanden hat, muss etwas dran sein. Außerdem ist mir ein Satz eingefallen, der Jesus in den Mund gelegt wird: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und dass sie es in Fülle haben.“ Zum Leben in Fülle gehört alles, die Freude und die Trauer. Die Liebe und der Schmerz.

Gott sei Dank haben wir alle möglichen Mittel um uns abzulenken wenn Angst, Schmerz und Trauer zu groß sind um sie auszuhalten. Denn um sie ganz zuzulassen, sie willkommen zu heißen, brauche ich Gottvertrauen und liebevolle Begleiter. Trotzdem wünsche ich jedem die Erfahrung: Wenn ich zulassen und aushalten kann, was weh tut und mich traurig macht, kann ich nicht tiefer fallen als in die Liebe Gottes.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18395
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