Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

In der Nacht hat ihn eine Nachbarin ins Krankenhaus gefahren. Er ist aufgewacht mit Schmerzen in der Herzgegend. Ein Herzinfarkt. Nach zwei Wochen hat er mich angerufen und mir davon erzählt. Er sei erleichtert darüber, sagt dieser Freund, der gerade mal 54 Jahre ist. Ich hab gedacht, ich hör nicht recht. Der Herzinfarkt hat ihm keine Angst gemacht. Die Aussicht, dass sein Leben aufhören könnte, macht ihm nichts aus. Im Gegenteil. Er ist froh, zu merken, dass sein Leben ein Ende haben kann. Weil er müde ist.

Leicht war in seinem Leben tatsächlich wenig. Als Kind und Jugendlicher hat er viel Gewalt und Ungerechtigkeit erlebt. Jede Beziehung, die er eingegangen ist, ist zerbrochen. Immer wieder war er arbeitslos. Jede Anstrengung, seinem Leben eine Wendung zu geben, hat sich nicht so erfüllt, wie er gehofft hat.

Mich macht die Geschichte von diesem Mann sprachlos. Ich fühle mich ohnmächtig. Die üblichen Sätze wie „das wird schon wieder“ gehen mir ihm gegenüber nicht über die Lippen. In der Freundschaft zu ihm übe ich, aushalten zu müssen, dass ich manchmal tatsächlich einfach gar nichts ändern kann. Ich kann nichts anderes tun als ihm zuhören und mit ihm fühlen. Das ist eine wichtige Lektion. Eine schwere. Aber sie bewahrt mich davor zu glauben, dass jeder Mensch sein Glück finden kann, wenn er nur will und wenn er sich genügend anstrengt. Zu glauben, dass es immer für alles eine Lösung gibt.

Der Freund glaubt, dass er eines Tages Frieden finden wird. Das finde ich tröstlich. Ich bin dankbar, dass ich mich mit meiner Ohnmacht an Gott wenden und ihn um seinen Segen bitten kann für jeden Menschen.

Heute Morgen mit diesen Worten:

„Der lebendige, unbegreifliche Gott

erfülle unser Leben mit seiner Kraft

dass wir entbehren können ohne hart zu werden

dass wir leiden können ohne zu zerbrechen

dass wir Niederlagen und Ablehnung hinnehmen können ohne uns und unsere Überzeugungen aufzugeben

dass wir schuldig werden können ohne uns zu verachten

dass wir Ohnmacht aushalten können ohne zerstörerisch zu wirken

dass wir mit Unbeantwortbarem und Unveränderlichen leben können ohne die Hoffnung preiszugeben.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18391
weiterlesen...