Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ist das Leben wirklich ein ständiger Wettkampf? Jeder gegen jeden? So wie bei den Tieren: Die Starken setzen sich durch, und die Schwachen sollen sehen wo sie bleiben? Heißt Erfolg im Leben, andere zu besiegen?
Manche Ratgeberbücher sehen das so. „Sich durchsetzen“ heißt ein Buch, das ich neulich gesehen habe. Auf dem Buchdeckel ist eine weiße Dame-Spielfigur zu sehen. Zwei schwarze Figuren liegen geschlagen daneben. Auf den ersten Seiten versprechen die Autorinnen, einem zu zeigen, wie man immer auf der „Gewinnerseite“ steht und andere „Mitbewerber“ hinter sich lässt. - Aber ist das bedeutet stark, wenn man andere aus dem Weg zu räumt?
Mir gefällt da viel besser, was der Apostel Paulus über das Stark-Sein gesagt hat. An die Christen in der griechischen Stadt Philippi hat er in einem Brief geschrieben: „Ich kann alles!“ (Philipper 4,13). „Ich kann alles!“ - das hört sich zuerst auch so, an als könnte er sich gegen alle durchsetzen: „Ich kann alles, kommt nur her, ihr anderen!“. Aber wenn man sich nicht nur diesen Satz, sondern den ganzen Abschnitt anschaut, dann merkt man, dass Paulus mit Stark-Sein etwas anderes meint. Denn da erzählt Paulus von den Höhen und Tiefen seines Lebens. Er kennt beides, sagt er, Leben im Überfluss und Verzichten-Müssen. Und er schreibt: „Ich habe gelernt, in jeder Lebenslage zufrieden zu sein. (…) Ich kann alles“ (Philipper 4,11-13). So ist dieses „Ich kann alles“ also gemeint. Nicht: „Ich kann mich gegen alle und jeden durchsetzen“, sondern: „Ich kann zufrieden leben und mit allem umgehen, was mir im Leben begegnet, mit allen Höhen und Tiefen“.
Das finde ich wirklich stark. Ich denke,  Höhen und Tiefen des Lebens, das sind zunächst die eigenen Stärken und Schwächen. Mich freuen an dem, was ich gut kann, und gleichzeitig versöhnt sein mit dem, was ich nicht gut kann - ich glaube, wem das gelingt, der steht fest im Leben. Und dann gehört zu den Höhen und Tiefen noch alles, was von außen auf einen zukommt. Und da steht niemand immer auf der Gewinnerseite. Krankheit, Schmerz, Trauer - das trifft jeden Menschen. Wenn jemand trotz alledem nicht den Mut verliert, sondern sein Vertrauen in das Leben behält, dann finde ich das unglaublich stark.
Ich denke, wenn man das schafft, dann kann man auch aufhören, die anderen als Konkurrenten zu sehen, gegen die man sich durchsetzen muss. Dann fühle ich mich eher mit den andern verbunden, weil es ihnen ja genauso geht wie mir: Wir alle haben die Lebensaufgabe mit unseren ganz verschiedenen Höhen und Tiefen zurechtzukommen. Und ich denke, dabei können wir uns gegenseitig helfen. Auch das wäre echt stark.

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