Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Wenn ich ein Ende ertragen muss, tröstet es mich, wenn dadurch etwas Neues anfängt.
Die Sommerferien gehen morgen zu Ende, aber am Montag beginnt was Neues. Der Sommer geht zu Ende, aber auch der Herbst kann wirklich zauberhaft sein. Hermann Hesse hat in seinem Gedicht „Stufen“ den Trost ausgedrückt, der im Wechselspiel von Ende und Anfang steckt.
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Der uns beschützt und
der uns hilft, zu leben.“
Fast könnte man meinen, dieses Wechselspiel geht immer weiter. Als würden wir leben wie auf einer ewigen Kreisbahn. Auf ein Ende folgt der Anfangszauber, immer neu.
Aber das Leben ist anders: Keine unendliche Kreisbahn von Neuanfängen. Vor kurzem habe ich das deutlich gespürt. In einer befreundeten Familie. Der alte Vater wird bald 89. Die Kinder waren da und man ist auf den Geburtstag zu sprechen gekommen. Alle schauen ihn an und warten auf seine Geburtstagsvorfreude. Aber der alte Herr sagt nur: „Ach ja.“
Und alle um den Tisch ahnen, was das bedeutet:
Das Leben geht nicht immer so weiter. Wenn ein Jahr zu Ende geht, dann fängt man halt ein neues an, in alter Frische. So ist es nicht, schon gar nicht, wenn man 89 wird. Mit 89 ist mehr Ende als Anfang. Das wollte er wohl sagen, mit diesem „Ach, ja.“
Und man hatte das Gefühl, er findet es auch gut, dass das so ist.
Wenn die Kräfte abnehmen, ist es gut, wenn man irgendwann nicht mehr
neu anfangen muss.
Dieses „ach ja“ ist mir noch eine ganze Weile nachgegangen.
Und der alte Simeon ist mir eingefallen, von dem die Bibel erzählt. Früher war er regelmäßig in den Tempel gegangen. Aber dann konnte er nicht mehr. Bis zu dem Tag, an dem er gespürt hat. Heute muss er noch mal hin. Im Tempel trifft der alte Simeon Maria und Joseph mit dem neugeborenen Jesus. Und der alte Mann hat sofort gesehen, dieses Kind ist ein neuer Anfang. Gott fängt neu an mit den Menschen, die fürchten, dass alles zu Ende ist. Simeon, erzählt die Bibel weiter, war glücklich, dass er das noch erleben konnte. ‚Ich muss nicht mehr neu anfangen. Mein Leben kann in Frieden zu Ende gehen.‘
Tröstlich diese Geschichte. Wir müssen nicht immer weiter und weiter. Aber ich glaube, dass der Tod ein Neuanfang Gottes mit mir ist.
Oder wie Hermann Hesse in seinem Gedicht sagt:
„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden.“ Ich wünsche mir, der alte Herr verlässt sich darauf.

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