Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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In den Sommerferien habe ich ein Buch gelesen, von dem ich Ihnen erzählen muss. Einfach weil es einen so wohltuenden Blick auf den Menschen hat, wie ich ihn mir von allen wünsche, die als Therapeuten oder Seelsorger arbeiten. Glückskind heißt das Buch und geschrieben hat es Steven Uhly.

Der Roman handelt von einem Mann, dessen Leben sich abrupt verändert, als er ein Baby in der Mülltonne vor seinem Wohnhaus findet. Die letzten Jahre des Mannes waren von einem ständigen Abstieg gekennzeichnet, bis hin zur Verwahrlosung. Seine Frau hat ihn verlassen, zu seinen Kindern hat er jeden Kontakt verloren. Arbeiten kann und will er nicht. Er lebt stattdessen von Hartz 4. Sein Leben hat er so eingerichtet, dass er möglichst keinem begegnet; am liebsten nicht mal sich selbst. Das ist die Ausgangssituation: Ein ungepflegter Mann von 59 Jahren, der in einer verdreckten Wohnung lebt. Ohne jede Perspektive.

Bis ihn die kleinen Augen ansehen, als er seinen Müll wegwerfen will. „Du hast bestimmt Hunger, nicht wahr?“, sagt er mit einem Zittern in der Stimme. Das ist seine erste Reaktion, als er kapiert, was er da vor sich hat. Und dem Hunger, diesem natürlichen Bedürfnis zu leben, muss er natürlich abhelfen. Vom ersten Augenblick an - im wahrsten Sinn des Wortes - legt das kleine Kind in ihm eine Seite frei, die ganz und gar verschüttet war. Da gibt es etwas, für das es sich zu leben lohnt. Und es gibt Menschen, die können einen glücklich machen. Hans, so heißt der Mann, nimmt das Kind mit in seine Wohnung. Auf einmal, wie von selbst, versteht er, was von ihm verlangt wird, was er tun muss, damit alles gut geht und einen Sinn ergibt. Für die Kleine und für ihn. Und mit der Zeit sieht er auch sein bisheriges Leben in einem neuen Licht: seine Schuld, seine Wünsche, die Liebe zu Frau und Kindern und das viele Scheitern, das er mit sich herum trägt.

Ich denke, Sie können sich vorstellen, welche Probleme es mit sich bringt, wenn ein älterer Herr plötzlich für ein kleines Kind sorgen muss. Auch davon erzählt der Roman Glückskind. Aber immer mit einer großen Sympathie für den guten Willen, mit dem Hans mit einem Mal an sein Leben heran geht. Das in den Müll geworfene Kind hat Glück und es bringt Glück. Es steht ganz einfach für den Wert des Menschen. Den es sich zu entdecken lohnt. An jedem Tag.

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