Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Herr Eberbach wohnt mit seiner Frau am Ende der Straße, in der ich aufgewachsen bin. Mit ihrem Sohn bin ich zusammen zur Grundschule gegangen. Deshalb sagt er Du zu mir und „Mädchen“, obwohl ich schon graue Haare habe und ich sage: „Herr Eberbach“.
Jetzt komme ich nur noch zwei oder dreimal im Jahr dorthin, meine Eltern sind längst gestorben. Aber Herr Eberbach war immer da. Seit er in Rente ist, hat er meistens im Garten geschafft, später saß er vor allem auf der Bank vor dem Haus. Und wenn ich vorbei gekommen bin, hat er gelacht und mich gleich erkannt, ein bisschen in die Sonne geblinzelt und gesagt: „Na, bist du da, Mädchen. Nun setz dich erst mal hin. Wie geht es Dir denn?“ Inzwischen ist er über 80, seit einem Schlaganfall vor ein paar Jahren kann er nur noch mühsam sprechen. Aber noch immer war er da und hat gefragt: „Wie geht es dir denn?“ – als ob er nur auf mich gewartet hätte.
Beim letzten Mal allerdings, da saß er im Auto als ich vorbei gekommen bin. Verwandte haben ihn ins Altersheim gebracht, zur Kurzzeitpflege, weil seine Frau im Krankenhaus war. Aber Herr Eberbach hat genau gewusst, was das bedeutet: „Hier werde ich nun wohl nicht wieder herkommen“, hat er gesagt und hatte Tränen in den Augen. „Mach‘s man gut, Mädchen!“
Ich habe von Herrn Eberbach viel gelernt:
Erstens, wie wenig es braucht, um einem anderen Menschen das Gefühl zu geben: Hier bin ich zu Hause. Hier bin ich gern gesehen.
Zweitens: Er hat wenig gesagt zu dem, was ich ihm erzählt habe. Bloß zugehört. Aber die wenigen Sätze waren klug. Früher hatte er den Krankenwagen gefahren in der kleinen Stadt und viel miterlebt. Diese Erfahrungen haben ihn weise gemacht und oft war mir hinterher leichter ums Herz. Nur, weil er da war und ich auf seiner Bank sitzen konnte.
Jetzt ist Herr Eberbach nicht mehr da. Und – das weiß er wohl selbst am besten – bald wird er gar nicht mehr da sein. Mir tut das weh. Und ich kann gar nichts für ihn tun. Deshalb bete ich manchmal für ihn: Dass er Gottes Nähe spüren kann und sich geborgen fühlen und dass die Menschen freundlich zu ihm sind in seinem neuen Zuhause.
Im 23. Psalm heißt es am Ende: „Mit Güte und Freundlichkeit umgibt mich Gott solange ich lebe und ich habe Wohnrecht in seinem Haus jetzt und in Ewigkeit.“ Daran glaube ich.
Und ich stelle mir vor, dass Gott schon auf ihn wartet. Und wenn er kommt, wird Gott lächeln und sagen: „Na, bist du da, mein Junge. Nun setzt dich erst mal hin und erzähl: Wie geht es dir denn?“

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