Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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"Und Gott sprach: Wir müssen reden!" So lautet der Titel eines kleinen Romans von Hans Rath. Ein Psychotherapeut und ein Zirkusclown begegnen sich in diesem Buch.
Die Symptome des Clowns deuten auf eine Persönlichkeitsstörung hin, borderline oder narzistisch, in der Fachsprache des Therapeuten. Der Clown leidet jedenfalls an einer kuriosen Krankheit. Er hält sich für Gott. Gott höchstpersönlich. Der Psychologe ist fasziniert von den vielfältigen Talenten seines Patienten. Aber seiner Meinung nach sind die komplett irdisch. Der Clown beteuert immer wieder: "Es ist die Wahrheit, ich bin es wirklich. ... Ich bin Gott. Und ich bin, unter uns gesagt, ziemlich im Arsch. Es wäre also schön, wenn sie mir helfen könnten, Doktor." Im Lauf der Geschichte wird immer weniger klar, wer hier eigentlich wem hilft. Der Therapeut ist sich bald nicht mehr so sicher, mit wem er es wirklich zu tun hat.
In der Mitte des Romans erzählt Gott, wie er in den Körper des Clowns geraten ist und nicht mehr herauskommt. "Ich hing plötzlich in diesem Körper fest. Und je mehr Anstrengungen ich unternahm, aus [diesem] Körper herauszukommen, desto tiefer schien ich hineinzurutschen. Zunächst dachte ich an einen vorübergehenden Zustand. Vielleicht ein göttlicher Schwächeanfall? Oder eine Wackelei in der Ordnung des Universums? Aber aus Tagen wurden Wochen, ... Monate, ohne dass auch nur die geringste Änderung eintrat." erklärt der Clown. Seine scheinbar überirdischen Kräfte schwinden, und so kommt Gott zu folgender Überlegung:
"Die Menschen verlieren mehr und mehr den Glauben an mich, also werde ich schwächer und schwächer, bis ich schließlich vielleicht sogar ganz verschwinde. Manchmal komme ich mir vor wie ein Gedanke, den sich die Menschheit aus dem Kopf schlagen möchte. Und mein Gefühl sagt mir obendrein, dass meine Zeit langsam knapp wird."
Der Therapeut wittert hier ein Trauma.
Gott ist verzweifelt, nicht einmal sein Therapeut glaubt an ihn! Wenn keiner an einen glaubt, wie fühlt sich das an? Dann schwindet jede Kraft.
Man kann diese Geschichte als Satire abtun. Ich sehe darin eine tiefe Wahrheit: Je weniger Menschen an Gott glauben, desto schwächer wird er. Je weniger Menschen sich von Gott inspirieren lassen, je weniger sich vom göttlichen Gedanken leiten lassen und daran arbeiten, dass Gott hier und jetzt erfahren werden kann, desto geringer wird der Einfluss Gottes in dieser Welt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18104
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