Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Heute feiert die alte Dame ihren 90. Geburtstag. Viele werden kommen. Auch ich werde sie besuchen und ihr von Herzen gratulieren.
90 Jahre – ein gesegnetes Alter. Sie kann es genießen. Nicht jeden Tag, aber an vielen Tagen. Noch kann sie sich selbst anziehen und alleine essen. Sie kann mit ihren Enkelkindern telefonieren und weiß, dass sie 6 Urenkel hat, die sie alle mit Namen kennt. In der Bibel heißt es: Unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt so sind es 80 Jahre (Ps 90,10). Heute ist das durchschnittliche Lebensalter für Frauen in Deutschland 82 Jahre, für Männer etwas weniger. Im höheren Alter müssen jedoch die meisten trotz medizinischer Fortschritte Einschränkungen hinnehmen.
Eine Einschränkung empfinden viele als besonders hart: Das große Vergessen, das für viele Menschen das Älterwerden mit sich bringt. Sie vergessen, wie sie heißen und wo sie wohnen. Sie wissen nicht mehr welcher Wochentag ist. Auch ihre Kinder kennen sie nicht mehr und fragen: Wer sind Sie denn? Kennen wir uns?
Es tut weh, wenn einen die eigene Mutter oder der Vater nicht mehr kennt. Und es kann Angst machen mitzuerleben, welche Verluste mit dem Älterwerden auf einem zukommen können. Doch gibt es Menschen, die im Alter trotz der Einschränkungen ein zufriedenes Leben führen. Sie klagen nicht über das, was nicht mehr geht und ertragen geduldig ihre oft eintönigen Tage. Sie freuen sich, wenn die Schwester von der Diakonie kommt und danken der Nachbarin fürs Einkaufen. Mir macht das Mut, im Alter nicht nur ein Gespenst zu sehen, das ich fürchte.  Besonders berührt es mich, wenn ich ein mir bekanntes Ehepaar – beide im hohen Alter – besuche und sehe, wie behutsam sie miteinander umgehen, wie dankbar sie für einander sind. Da ahne ich, was gemeint sein kann mit dem Spruch: einen Menschen lieben heißt einwilligen, mit ihm alt zu werden. Wie gut, dass Gott seinen Menschen versprochen hat: Ja, ich will dich tragen bis ins Alter, auch wenn deine Haare grau werden, bleibe ich an deiner Seite und verlasse dich nicht (Jes 46,4). Und einer der sich vorstellt, dass er gerade im Alter angewiesen sein wird auf Hilfe, bittet deshalb in einem Gebet: Verlass mich nicht, Gott,  wenn ich alt werde (Ps 71,18).Ich vermute, an ihrem Geburtstag wird die Jubilarin nicht viel Zeit haben für solche Gedanken. Aber die sie besuchen, erleben eine Ermutigung, gelassen und mit Vertrauen älter zu werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18024
weiterlesen...