Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Das Mittagessen hatte köstlich geschmeckt. Zum Nachtisch gab es Erdbeermousse. Wir waren zufrieden wie man zufrieden ist nach einem schönen Essen in sonnigem Garten. Die Bedienung war schon gegangen, also bezahlten wir bei der Chefin. Ich hatte ihr Foto in der Speisekarte gesehen. Daher habe ich gewusst: das ist die Köchin. Ich habe ihr gesagt, wie wunderbar ihr Essen geschmeckt hat und habe ihr gedankt für die Mühe, die Sie sich für uns und alle ihre Gäste gemacht hat. Da ist sie eigenartig ernst geworden. Kein Lächeln war in ihrem Gesicht zu sehen. Hatte sie mein Lob nicht verstanden? Als ob sie meinen fragenden Blick bemerkt hätte, hat die Frau erklärt: Wissen Sie, mit Lob kann ich nicht so gut umgehen. Das bin ich nicht gewohnt. Ich bin mit Kritik aufgewachsen und als Mädchen oft zurechtgewiesen worden. Deshalb hatte ich immer ein wenig Angst, einen Fehler zu machen. Kein Kommentar hieß für mich, es war in Ordnung so. Lob war ein Fremdwort. Das ist mir bis heute geblieben, hat sie weitererzählt. Lob kann ich nicht gut annehmen. Das macht mich unsicher. Dafür nehme ich mir Kritik umso mehr zu Herzen. Wenn einer sagt, was nicht gut war, dann habe ich daran die ganze Woche zu knabbern. Ich kenne einige, denen es so geht. Und ich finde das schade. Aber ich denke: das muss ja nicht so bleiben. Das Textbuch aus der Kindheit kann wahrscheinlich nicht gelöscht werden. Aber vielleicht kann man es mit neuen Erfahrungen überschreiben? Ich finde: Lob anzunehmen und Wertschätzung zu erfahren ist nicht unwichtig. Das kann man lernen. Dabei kann die Einsicht helfen, dass Lob eine Art ist, mit anderen zu teilen. Ich lasse sie durch mein Lob teilnehmen an dem, was ich durch ihr Können Schönes erlebt habe. Sie hören, was für mich wertvoll und wichtig ist, und was sie dazu beigetragen haben. Wenn ich ein Lob ausspreche, dann möchte ich, dass der andere es annimmt und sich darüber freut. Wenn er das Lob abwehrt, dann zeigt er mir: Das kann ich nicht glauben. Bestimmt meinst du das nicht ernst. Ich möchte, dass die Frau, die so toll gekocht hat, sich das Lob gefallen lassen kann. Wir haben genossen, was sie für uns gemacht hat. Sie hat viel  zu einem schönen Erlebnis beigetragen. Mein Lob kommt von Herzen und ich wünsche ihr und mir, dass sie es annehmen kann.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18021
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