Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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In den vergangenen Wochen habe ich eine Menge gelernt. Nicht nur über Fußball, sondern auch über Südamerika. Ich fand die Fernsehberichte und Zeitungsartikel über die Länder Südamerikas genauso spannend wie die Fußballspiele. Denn, ehrlich gesagt – ich hatte nicht viel Ahnung. Jetzt weiß ich ein bisschen mehr über die Lebensverhältnisse der Menschen in Brasilien und Kolumbien, in Costa Rica, Argentinien und Chile. Ich habe mich empört darüber, dass man dort eine Menge Geld ausgibt für Fußballstadien. Und dass genau dieses Geld für Schulen fehlt, für Straßenbau und für bezahlbare Wohnungen. Viele fanden das empörend. Und jetzt frage ich mich: Was bleibt? Nur, wenn die Welt weiter hinschaut, nur wenn sich Politiker und Investoren einsetzen für diese Länder, wird es dort vielleicht anders werden.
Ich habe aber auch gelernt, dass manches nicht so einfach ist, wie ich mir das vorgestellt habe. Die Sache mit der Kinderarbeit zum Beispiel. Kinderarbeit muss verboten sein, habe ich bisher gedacht. Und an die Bilder von den Kindern gedacht, die in Steinbrüchen Steine schleppen oder 10, 12 Stunden am Tag Teppiche knüpfen.
Und jetzt habe ich gelesen, dass in Bolivien künftig die Arbeit von Kindern ab 10 Jahren erlaubt sein soll. Bisher durften Kinder erst ab 14 arbeiten. Begründung für die Neuregelung: Es entspricht der sozialen Realität in diesem Land, dass Kinder zum Familieneinkommen beitragen müssen. Sie können nicht zur Schule gehen, wenn sie nicht auch ein bisschen Geld nach Hause bringen. Sogar die Kindergewerkschaft hat sich dafür eingesetzt, dass dieses Gesetz kommt. Immerhin regelt es auch, für welche Arbeiten Kinder nicht eingesetzt werden dürfen: Im Bergbau zum Beispiel und bei der Zuckerrohrernte.
Vielleicht ist es für die Kinder und ihre Familien wirklich besser, wenn sie in bestimmten, geschützten Verhältnissen arbeiten können. Andererseits erschreckt mich das sehr. Müssen wir uns wirklich damit abfinden, dass unsere Welt so ist? Dass es Kinder gibt, die arbeiten müssen, damit sie überhaupt eine Chance haben und andere zum Beispiel bei uns, die gar nicht einsehen, warum sie sich anstrengen und lernen sollen, weil sie doch sowieso schon alles haben?
Mich macht dieses neue Gesetz in Bolivien ziemlich ratlos. Ich habe keine Ahnung, was man tun kann, damit es den Familien dort besser geht und sie ihre Kinder nicht zur Arbeit schicken müssen. Aber ich finde, darüber muss man nachdenken. Und tun, was geht. Auch hier bei uns. Jetzt könnte das anfangen. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Und nach der WM kommt die Politik.

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