Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich habe meine Gefühle begraben“, das hat vor kurzem ein Mensch über sich gesagt. Welch’ ein Satz! Er hat das, was dem Leben Höhen und Tiefen gibt, in eine Kiste gepackt und einsachtzig tief in die Erde versenkt, um in seinem Bild zu bleiben. Und er hatte, wie jeder, der seine Gefühle wegpacken muss, gute Gründe dafür. Gute Gründe sind zum Beispiel sich selbst zu schützen, damit einen die Gefühle nicht überschwemmen. Gute Gründe sind auch, alte Wunden nicht aufzureißen. So verständlich und wirksam es auch ist Gefühle wegzupacken, zu unterdrücken oder zu begraben, so belastend ist es auch. Denn das Leben wird eben gefühlloser ohne Höhen und Tiefen. Irgendwie stumpf. Oder die Gefühle suchen sich andere Wege um aus ihrem Grab zu kommen. Unvermittelte Wut, unerklärliche Traurigkeit oder körperliche Beschwerden. Das Bild vom Grab und Begraben finde ich ganz passend dafür wenn gefühllose Zustände geheilt werden sollen. Wenn Gefühle begraben werden mussten, dann war etwas so schmerzhaft, dass es weggepackt werden musste. Um beides zu lösen, das Wegpacken und seine Folgen, müssen die Gefühle exhumiert werden, ausgegraben, ausgepackt, hoch gelassen. Aber ganz vorsichtig, ganz behutsam, am besten mit einer Freundin, einem Seelsorger oder einer Therapeutin. Im Wort „Exhumieren“ – das Tote ausgraben, steckt das Wort Humus. Humus ist der Stoff, der Kompost, der scheinbar tot, aber so fruchtbar ist. Und so können die scheinbar toten Gefühle, wenn sie aus ihrem Grab geholt werden, auch zum Humus, zum Stoff für ein anderes, neues Leben werden. Ein Leben, versöhnt mit sich selbst, versöhnt mit den Fehlern und Schwächen, die jeder Mensch in sich trägt. Und wenn es gelingt, diese Gefühle behutsam freizulegen, dann kann das Harte weich werden, das Dunkle hell und das Tote lebendig.

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