Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Eigentlich wollte ich nicht nach Verdun. Nicht an den Ort, der zum Sinnbild für den Schrecken des Krieges geworden ist. Anlass der organisierten Reise war der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges am 28. Juli.
Ich hatte lange gezögert, mitzufahren: Ich weiß viel über den Zweiten Weltkrieg, habe einige Gedenkstätten der Nazizeit gesehen: das Mahnmal in Berlin, die Konzentrationslager in Ausschwitz und Dachau. Diese Stätten haben mir eindrücklich gezeigt, zu welcher Grausamkeit wir Menschen fähig sind und dass wir alle in der Verantwortung stehen, dass so etwas nie wieder vorkommen darf. Der Erste Weltkrieg schien mir dagegen viel weiter weg, schien viel weniger mit mir zu tun zu haben. Das hat sich geändert, seit ich auf den Schlachtfeldern von Verdun gestanden habe.
10 Monate hat vor 100 Jahren der Kampf um Verdun gedauert. Eine sinnlose Schlacht mit unglaublichen Verlusten auf beiden Seiten: 170.000 französische und 150.000 deutsche Soldaten sind damals ums Leben gekommen. Noch heute sieht man der Gegend das Kriegsgeschehen deutlich an: überall vom Giftgas immer noch kranke Bäume, überall die Schützengräben, in denen die Soldaten verschanzt lagen – im ohrenbetäubenden Lärm der Bombenangriffe, neben sich verletzte oder getötete Kameraden.
„Nie wieder Krieg!“. Das war schon vorher meine Überzeugung. Aber die Reise nach Verdun hat mir noch einmal ganz deutlich gemacht, wie wichtig es ist, sich dafür einzusetzen. Denn auch wenn dieser Krieg inzwischen Geschichte ist, weltweit gibt es derzeit 414 gewaltsame Konflikte, darunter 20, die als Krieg einzustufen sind. Denken Sie nur an die Zentralafrikanische Republik, an Syrien, den Irak, Mali, Afghanistan oder die Ukraine – die Bilder von Gewalt und Tod sind auch heute noch allgegen­wärtig.
Warum nur können wir Menschen aus den Schrecken der vergangenen Kriege nicht lernen, frage ich mich? Der Liedermacher Rio Reiser hat darauf eine Antwort versucht: „Der Krieg, er ist nicht tot, der Krieg“, schreibt er, „er schläft nur. Er liegt da im Hinterhof und wartet, wartet auf Dich, auf mich. Er ist nicht tot der Krieg, er schläft nur. Er hat sich sehr gut versteckt und wartet – wartet in mir, in Dir!“
Eine große Wahrheit steckt in diesen Worte, finde ich. Ein Krieg ist kein Geschehen, das wie eine Naturgewalt über uns hereinbricht. Ein Krieg ist Menschenwerk. Es liegt an uns, ob er Raum bekommt oder ob er eingedämmt werden kann.
„Gott, mache mich zum Werkzeug deines Friedens.“ Dieses Gebet ist nach wie vor hochaktuell. Denn der Frieden beginnt mit uns! Mit Ihnen und mit mir!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17819
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