Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Müssen Katholiken bald wieder Latein lernen?
Wenn es nach Martin Mosebach geht, dann wohl schon. Der prominente Schriftsteller und mit ihm andere Traditionalisten fordern die Wiedereinführung der „alten Messe“. Die wurde im Zuge des II. Vatikanischen Konzils vor knapp 40 Jahren abgeschafft.
Mosebachs Vorwurf: Damals habe „die Kirche gegenüber der modernen Welt die Nerven verloren“, weil sie die Gottesdienstfeier in der jeweiligen Landessprache erlaubte.
Schaut man genauer hin, wird schnell klar, dass es im Kern gar nicht um die Sprache geht. Selbstverständlich dürfen und werden Messen auch heute lateinisch gefeiert. Das ist überhaupt kein Problem.
Kritiker wie Mosebach wollen zurück zur Form der alten Messe, so wie die Kirche sie im 16. Jahrhundert für verbindlich erklärt hatte. Danach konzentrierte sich der Gottesdienst ganz auf den Priester. Er allein vollzog das Opfer Christi. Die Gemeinde war gar nicht notwendig. Die Gläubigen wohnten der Zeremonie nur bei. Mit dem Rücken zum Kirchenvolk las der Priester die heiligen Texte, das Volk hörte zu. Selbst wer der lateinischen Sprache mächtig war, verstand meist nichts, weil der Zelebrant fern ab am Altar vieles still betete. Selbst das Evangelium wurde in halblautem Gemurmel vorgetragen.
Bis in die Gesten hinein war alles in diesem Ablauf streng geregelt: die Kniebeugen, die Verneigungen, die Armhaltung, insgesamt 34 Kreuzzeichen usw. So vollzog der Priester als Solist die vorgeschriebenen Riten. Die Gemeindemitglieder blieben Statisten. Eine wirkliche Beteiligung war nicht vorgesehen; Lektoren für Lesungen und Fürbitten genauso undenkbar wie Kommunionhelfer.
Ich selbst habe die alte Messe als Ministrant noch kennen gelernt. Für mich und für viele andere war es eine echte Befreiung, als Papst Paul VI. den Gottesdienst 1970 gründlich reformierte. Seither versteht die Gemeinde, was in der Messe vorgeht. Priester und Gläubige wirken zusammen. Gemeinsam bekennen und feiern sie ihren Glauben. Damit ist die neue Messe der Mahlfeier der frühen Christen viel ähnlicher als die lateinische des 16. Jahrhunderts.
Und übrigens: das letzte Abendmahl hat Jesus mit seinen Freunden auch nicht in Latein gehalten. Das war schließlich die Sprache seiner Henker!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1780
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