Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wissen heißt: wissen wo's steht.- im Duden oder im Internet. Das reicht, wenn mich interessiert, wie lang die Donau ist oder wann Napoleon geheiratet hat.
Aber bei Gedichten wird es schon schwieriger. Oder bei Liedern, wenn nur noch die 1. Strophe so einigermaßen sitzt oder der Refrain.
Vielleicht erinnere ich mich daran, wo ich sie nachschlagen könnte, aber im Kopf, im eigenen Gedächtnis, im Herzen, habe ich sie deshalb noch lange nicht.

Mitarbeiterinnen in der Pflege berichten oft sehr bewegt wie alte, demenzkranke Menschen reagieren, wenn sie mit ihnen singen oder beten. Den Psalm 23 oder das Vaterunser oder ein Gesangbuchlied. Die alten Menschen sprechen mit, und manchmal beginnen ihre Augen zu leuchten für einen Moment. Weil ihnen das Wiedererkennen so gut tut. Sie fühlen sich geborgen in den Worten, die sie auswendig kennen.
Ich glaube, deshalb ist es wichtig, solche guten Worte, Lieder und Gebete auswendig zu kennen. Denn solche Worte "sitzen" tief. Sie sitzen dort, wo das, was wir wir aus-wendig können, uns auch in-wendig bewegt.
In England gibt es dafür den beneidenswerten Ausdruck learning by heart. Etwas auswendig lernen, das heißt - etwas by heart -ganz im Herzen - haben. Und ähnlich in Frankreich: apprendre par coeur - auswendig lernen. Auch das heißt - sich etwas ins Herz hinein nehmen.
Manchmal, wenn einem die Worte fehlen, oder irgendetwas einem die Sprache verschlägt, dann bleiben nur noch solche Worte. Und die tun gut.
Auswendig lernen ist darum auch eine geistliche Übung, die alle Religionen kennen.
Der Übungsweg ist im Grunde einfach. Wählen Sie sich Ihren geistlichen Text.
Einen Psalm vielleicht. Oder ein Morgengebet, für das sie kein Buch mehr nehmen wollen, um es abzulesen. Oder ein Gedicht, das Ihnen wichtig ist.
Lesen Sie Ihren Text. Nur für sich. Laut und leise.
Lassen Sie die Worte in Gedanken zu Bildern werden, die sich eins ans andere reihen.
Das hilft dem Gedächtnis sie zu speichern.
Und dann sprechen sie wieder. Vielleicht erst Vers für Vers, Bild für Bild.
Manche Menschen üben in einem festen Rhythmus, z.B. immer morgens nach dem Aufstehen. Oder sie meditieren ihr Wort beim Geschirrspülen, beim Wäscheaufhängen, auf dem Weg zur Arbeit. Oder beim Wachliegen in der Nacht.
"Was man weiß und was man wissen sollte", das kann ich nachschlagen.
Was mir aber zu Herzen gehen soll, das will ich in- und auswendig haben.
eben: by heart.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1779
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