Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich finde, um ein Ehejubiläum zu feiern, muss man nicht warten bis die 10, die 25 oder 50 Jahre voll sind. Ich finde, das kann man auch zwischendrin tun. An irgendeinem Hochzeitstag. Oder in der Erinnerung an den Tag, an dem die Liebe begann.
Der Dichter Reiner Kunze hat darüber ein Gedicht geschrieben, über zwei in einem Boot.

Rudern zwei ein Boot,
der eine kundig der Sterne,
der andere kundig der Stürme,
wird der eine
führn durch die Sterne,
wird der andere
führn durch die Stürme,
und am Ende ganz am Ende
wird das Meer in der Erinnerung blau sein.

Mir gefällt dieses Gedicht sehr. Es ermutigt zur Liebe und dazu, sich in einer Beziehung über Jahre auf einen anderen Menschen einzulassen.  Und zwar geht das so:
Zwei Menschen fügen ihre Stärken zusammen und meistern so ihr Leben und ihre Beziehung. Der eine kennt sich aus mit den Sternen. Er kann sich gut orientieren und ansagen, wohin die Fahrt gehen soll. Die andere weiß, was man im Sturm tun muss, damit das Boot nicht kentert. Je nach Herausforderung führt mal der eine, mal die andere. Keiner kann alles. Aber gemeinsam meistern sie vieles.
und am Ende ganz am End
wird das Meer in der Erinnerung blau sein
.
Das Ende des Gedichts ist genial, finde ich. Es sagt nämlich, wenn ihr zurückblickt, dann wird das Meer blau sein. Am Ende sind es nicht die harten Zeiten, die in Erinnerung bleiben, sondern die Tatsache, dass ihr sie gemeinsam überstanden habt. Diese Erfahrung machen natürlich nicht nur langjährige Paare. Das erleben auch Freundinnen und Freunde. Schwere Zeiten kann man gemeinsam meistern. Und es tut gut, sich daran zu erinnern. Dann sieht man, wie sich der Himmel im Wasser spiegelt.
Der Dichter Reiner Kunze verspricht: Die kostbarsten Erfahrungen, das sind gerade die Belastungen, die ein Paar gemeinsam getragen hat.
In jedem Fall ist eine langjährige Freundschaft oder eine Ehe kein ruhiger Hafen. Sie ist manchmal ein ganz schön wildes Meer.
Christen vertrauen in solchen Stürmen des Lebens im schwankenden Boot, nicht nur auf das eigene Können, sondern auf Gott. Denn sie wissen: wenn die Wellen hochschlagen, kann man leicht untergehen.
In Kunzes Gedicht ist für mich das Blau des Himmels die Farbe für Gott. Die spiegelt sich im Meer, über das die beiden fahren müssen. Und im Rückblick können sie vielleicht erkennen, dass Gott sie getragen hat im Auf und Ab ihrer Beziehung durch all die Jahre, dass Gott sich spiegelt in der Fahrt durch das Meer ihrer Beziehung.
Deshalb also: „ am Ende, ganz am Ende, wird das Meer in der Erinnerung blau sein“

Reiner Kunze. RUDERN ZWEI. Aus: ders., Frühe Gedichte In: Gespräch mit der Amsel. © S. Fischer Verlag GmbH. Frankfurt am Main, 1984

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17720
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