Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Ich möchte mal niemand zur Last fallen!“
Das ist ein Satz, der mich wahnsinnig aufregt und ärgert. Weil ich mich frage: Was ist das für eine Welt, in der Menschen das sagen? In der sie wohl meinen, das sagen zu müssen! Leider hat mein Vater diesen Satz auch benützt. Und meiner Mutter gelingt es nicht immer, ihn zu vermeiden, obwohl sie weiß, wie er mich auf die Palme bringt. Er ist für mich eine regelrechte Bankrotterklärung für das Zusammenleben.

„Ich möchte mal niemand zur Last fallen.“ Die Konsequenzen dieses Satzes sind katastrophal. Wenn jemand sich vornimmt, so zu leben, dann muss er sich selbst aus dem Weg räumen, sobald größere Probleme auftauchen. Er muss seine Entsorgung einkalkulieren, sobald er krank wird und nicht mehr alleine zum Einkaufen gehen kann. „Am besten, ich bin dann nicht mehr da, wenn ich jemand brauche, der mir helfen muss“, denkt so einer. „Und wenn ich dann tatsächlich gestorben bin, dann streut meine Asche in den Neckar. Ich will euch keine Umstände machen. Es hat ja sowieso keiner Zeit und Lust, mein Grab zu pflegen.“ 

Solche Gedanken bedrücken mich ungeheuer. Ich möchte keinem einen Vorwurf machen, wenn er so denkt. Aber ich will auch nicht der Niemand sein in dem Satz: „Ich möchte niemand zur Last fallen.“ Nein, das will ich nicht. Ich will einer sein, der Lasten trägt, wenn es darauf ankommt. Bei meinem Vater, bei meiner Mutter, beim Nachbarn, beim Freund. Wegen mir soll der Satz Lügen gestraft werden. Und ich hoffe, dass es da ganz viele in unserer Gesellschaft gibt, die das auch wollen. 

Für mich ist es normal und selbstverständlich, dass es Starke und Schwache gibt. Die Rollen wechseln im Laufe des Lebens mehrmals. Als Kind brauche ich andere, die fast alles für mich tun. Als junger Erwachsener kann ich mit meiner Energie mehr tun als die meisten. Wenn ich krank bin oder eine schwere Krise habe, bin ich froh, wenn mich jemand unterstützt. Mit 60 plus profitieren Jüngere von meiner Erfahrung. Und als Alter, als Sterbenskranker, wenn ich nur noch im Bett liege und kaum mehr sprechen kann, ja, dann bin ich eine Last. Das ist so. Ich hoffe dann auf Menschen, die mich halten und tragen. Das steht mir zu. Ich will, dass es das Normalste von der Welt ist. Nicht der Rede wert.

„Ich möchte mal niemand zur Last fallen!“ Wenn ich einen Beitrag dazu leisten kann, dass dieser Satz ausstirbt, wäre ich glücklich. Es beginnt damit, dass ich mir von Ihnen wünsche, dass Sie ihn nicht sagen, diesen Satz. Nicht sagen müssen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17700
weiterlesen...