Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Haben Sie sich schon mal ungerecht behandelt gefühlt? Ich unterstelle, dass das jedem schon mal passiert ist. Jemand hat ihnen etwas versprochen und dann sein Wort nicht gehalten. Im Urlaub stellen sie fest, dass ihr Tischnachbar für die gleiche Pauschalreise erheblich weniger bezahlt hat als sie. Ich fürchte, da gibt es unglaublich viele Beispiele.

Das ist deshalb etwas beunruhigend, weil wir gerade in Fragen der Gerechtigkeit besonders empfindlich sind. Wir sind es gewöhnt zu vergleichen. Wir prüfen ständig, ob eine Situation passend ist, ob die Verhältnisse für uns stimmen. Und wenn das nicht der Fall ist, reagieren wir empfindlich.

Jesus hat einmal einen Vergleich angestellt, der so eine Art der Ungerechtigkeit auf die Spitze treibt. Er legt damit den Finger tief in diese Wunde, die oft hässlich bei uns klafft. Der Vergleich geht kurz gefasst so: Ein Mann hat einen Weinberg und sucht Leute, die bei ihm arbeiten. Jeder soll den gleichen Lohn bekommen. Immer wieder kommt einer dazu. Am Ende des Tages haben manche zwölf, andere sechs, wieder andere drei und etliche nur eine Stunde gearbeitet. Aber alle bekommen den gleichen Lohn. Was für eine Schweinerei! Die Fleißigen, die den ganzen Tag geschuftet haben, sind nicht nur frustriert, sondern stinksauer. Sie hatten gehofft, endlich einen gerechten Chef zu finden. Und jetzt treibt der den Betrug auf die Spitze. So fühlen sich nämlich diejenigen, die viel länger als andere gearbeitet haben: betrogen.

Es gibt eben nur diesen kleinen Unterschied, aber der ist entscheidend dabei: Es war von Anfang an vereinbart worden, dass alle den gleichen Lohn bekommen. Egal wie lange einer arbeitet. Darauf beruft sich der Weinbergbesitzer und wehrt alle Vorwürfe ab. Und er ist damit im Recht. Nur ist das auch gerecht? Rechnerisch betrachtet natürlich nicht. Aber darum geht es Jesus auch nicht. Er wirft die grundsätzliche Frage auf, was Gerechtigkeit ist und ob man bei ihr mit Mathematik sehr weit kommt. Ganz offensichtlich nicht. Und bei Gott erst recht nicht. Denn für den steht im Vergleich der Besitzer des Weinbergs. Er handelt so, wie Gott handelt - sagt Jesus. Ganz anders als wir es erwarten. Erstaunlich ungerecht. Und beim genaueren Nachdenken: erstaunlich gerecht. Aber dahin kommen die meisten nicht, weil sie sich vorher so sehr über den Vergleich ärgern. Und Sie?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17698
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