Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wenn ich mir den Zustand des Christentums in Deutschland so anschaue, dann bekomme ich den Eindruck: Es braucht dringend mehr Visionen und Träume. Seit Jahren befindet sich der christliche Glaube auf dem Rückzug. Inzwischen sind die Christen eine Minderheit. Mich wundert das schon lange nicht mehr. Meine eigene, die katholische Kirche in Deutschland, war jedenfalls in den letzten Jahren in einige Skandale verwickelt. Ich nenne die drei größten. Man merkt noch immer, wie schwer sich die Verantwortlichen tun, mit ihnen transparent umzugehen.

* Priester haben sich sexuell an Minderjährigen vergangen, die man ihnen im guten Glauben anvertraut hat.

* Es gibt Bischöfe, die sich nicht dafür interessieren, was ihre Gläubigen denken und fragen; sie ziehen einfach ihr Ding durch.

* In vielen Bistümern werden wunderbare Hochglanzprospekte gedruckt, in denen bis ins Detail aufgeschlüsselt ist, was mit den Kirchensteuern geschieht; und dann wird jeden Tag ein bisschen mehr bekannt, dass es schwarze Kassen gibt und dass die genauen Zahlen verschleiert werden.

Vorgänge wie diese reißen große Wunden auf. Bei jedem, der selbst missbraucht wurde, muss eine Welt zusammen brechen. Und es verletzt darüber hinaus auch die Menschen, die von ihrer Kirche viel halten. Was ist das bloß für ein Laden, der öffentlich Wasser predigt, selbst aber Wein trinkt? Wie soll ich an die hohen Ideale glauben, an Treue und Ehrlichkeit und Fürsorge, wenn sie von den eigenen Leuten mit Füßen getreten werden?

Ich wünsche mir, dass die katholische Kirche in jedem einzelnen Fall klaren Tisch macht. Wenn sie endlich zugibt, dass jeder in den eigenen Reihen ein Sünder ist, dann braucht sie nichts mehr zu vertuschen. Es gibt innerhalb der Kirche all das, was es außerhalb von ihr auch gibt. Das ist eine der wesentlichen Lehren, die ich aus den Skandalen der letzten Jahre für mich gezogen habe. Ich meine, dass diese nüchterne Erkenntnis entlastet und dass sie frei macht, die Probleme offen und ehrlich anzupacken, die da sind.

Was es dazu braucht? Eine Kombination aus Großzügigkeit und Bescheidenheit. Ich glaube, dass die sich gut von Jesus herleiten lässt. Wenn andere einen Fehler gemacht haben, war er großzügig; gegenüber den Seinen jedoch streng. Wo es darum ging, von jemandem etwas zu verlangen, hat er sich bescheiden gezeigt. Das ist meine kleine Vision für das Christentum bei uns. Heute an Pfingsten. Am Geburtstag der Kirche. Wo Gott seinen Geist ausgießt. Einen Geist, der Neues, und Veränderung will.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17695
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