Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Sag nicht immer ihr und wir“, so ermahnt mich der katholische Religionslehrer an unsere Schule immer wieder. Mit „ihr“ meine ich ihn und die katholische, Kirche und mit „wir“ meine ich mich und die evangelische Kirche. Wenn ich zum Beispiel sage: „Bei euch spielt die Predigt ja keine so große Rolle wie bei uns“, dann beschwert sich mein Kollege. „Sag nicht immer wir und ihr.“
Und er beschwert sich zu Recht. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche und man kann sagen: das ist typisch katholisch und jenes typisch evangelisch. Aber trotzdem können die einzelnen Mitglieder der beiden Kirchen doch ihre ganz eigene Meinung haben. Ich glaube, mein katholischer Kollege beschwert sich, weil er sich nicht vereinnahmen lassen möchte. Er will sagen: ich bin zwar katholisch, aber manches sehe ich anders als meine Kirche. Und genauso geht es mir selbst auch: Auch wenn ich evangelisch bin, gefällt mir nicht alles an meiner Kirche. Zum Beispiel, dass man oft gar nicht weiß, wofür die evangelische Kirche eigentlich steht, weil jeder etwas anders sagt.
Neulich habe ich ein Interview mit zwei katholischen Pfarrern gelesen. Da haben sie erzählt, dass sie auch evangelischen Christen das Abendmahl geben, obwohl die katholische Kirche das eigentlich verbietet. Und die beiden haben sich auch gegen das so genannte Zölibat ausgesprochen. Sie finden: auch katholische Pfarrer sollen heiraten, und Frauen sollen Priesterinnen werden dürfen.
Ich denke, wo sich evangelische und katholische Christen begegnen, sollten sie im anderen nicht so sehr einen Vertreter der jeweiligen Institution sehen. Lieber sollten sie sich gegenseitig nach ihrer eigenen Meinung fragen. Ich denke, dann findet man vor Ort - in der Schule, im Dorf oder in der Stadt - viele Gemeinsamkeiten. Und über die Unterschiede kann man dann auch besser reden.
Und ich denke, es gibt noch einen anderen Grund, warum man nicht so sehr zwischen „wir“ und ihr“ unterscheiden sollte. Was bedeutet das Abendmahl? Was ist ein Priester? Was ist die Kirche? Diese ganzen kircheninternen Fragen finde ich wichtig. Aber noch wichtiger finde ich Fragen wie: Ist ein Mensch nur etwas wert, wenn er etwas leistet? Oder: Müssen wir dem wirtschaftlichen Erfolg alles andere unterordnen? Und da haben Evangelische und Katholische - ja alle Christen - gemeinsame Antworten, die sie laut sagen sollten.
Auch deshalb hat mein Kollege Recht: katholische und evangelische Christen sollten weniger „Ihr“ und „Wir“ sagen, sondern viel öfter nur noch „Wir“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17666
weiterlesen...