Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Nichts darf raus“, das war der erste Tipp, den mir meine Lehrerin neulich in meiner ersten Gesangsstunde gegeben hat. „Nichts darf raus“, damit hat sie gemeint: Ich soll den Ton nicht aus dem Mund nach außen schicken, sondern den Mund zwar offen halten, aber in mich hinein singen. Hört sich komisch an, geht aber. Und das Erstaunliche ist: Die Stimme wird dadurch nicht etwa leiser, sondern viel, viel lauter.
Inzwischen denke ich, das ist nicht nur beim Singen so, sondern auch sonst im Leben. Sportler beispielsweise  müssen sich im Wettkampf ganz auf sich selbst konzentrieren. Sobald sie auf die Gegner schauen oder darüber nachdenken, was die Zuschauer von ihnen erwarten, bringen sie nicht ihre beste Leistung.
Ich glaube, das gilt sogar dann, wenn man etwas für andere tut. Der Lehrer für seine Schüler, die Pfarrerin für ihre Gemeinde, der Vater für seine Kinder, die Krankenschwester für ihre Patienten. Wer ganz bei sich ist, der kann sich auch ganz auf seine Aufgabe konzentrieren und deshalb besonders gut für andere da sein und ihnen helfen. Und umgekehrt: Wenn ich immer nur nach außen schaue, und mir überlege, was die anderen denken und wie das ankommt, was ich tue, dann geht es mir wie beim Singen: Ich bewirke wenig, und bin trotzdem schnell erschöpft.
Warum ist das so? Vielleicht deshalb, weil ich mich überfordere, wenn ich in meinen Gedanken immer auch bei den anderen bin. Jedem recht machen kann ich es nicht. Es wird immer jemanden geben, der das, was ich mache, nicht gut findet. Wenn ich es trotzdem versuche, kostet das viel Kraft, die aber irgendwie in alle Richtungen verpufft.
Ich finde Jesus war so einer, der bei sich selbst war. Er hat sich dafür auch Zeit genommen. Immer wieder heißt es in der Bibel, dass er sich zurückgezogen hat, um allein zu sein. Er hat sich Zeit für sich genommen, Zeit zum Nachdenken und Zeit zum Beten. Er war ganz bei sich. Er hat nicht darüber nachgedacht, wie die Leute das finden, was er gesagt und getan hat. Dadurch hat er manche Erwartungen enttäuscht und viele vor den Kopf gestoßen. Aber, ich denke, er war mit sich im Reinen. Und ich denke: gerade deshalb hat er auch so vielen Menschen helfen können. - Ganz bei sich zu sein, hat also nichts mit Egoismus zu tun. Nein, ganz bei sich sein, das ist die Voraussetzung, um auch für andere wirklich da sein zu können.
Es ist wie beim Singen. Die Pavarottis singen nicht für sich unter der Dusche. Sie gehen auf die Bühne und werden gehört. Und wer richtig bei sich ist, der wirkt auch auf andere.

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