Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ein Leben lang hat sie hart gearbeitet. Tagein, tagaus. Geschont hat sie sich nie - die Frau, die ich begleiten durfte und an die ich heute Morgen denken muss.

Sie hat auf vieles verzichtet, ihre eigenen Wünsche hinten angestellt. Zuerst kamen die anderen -  der Mann, die Kinder, das Geschäft…

Jetzt am Ende ihres Lebens schaut sie fast ungläubig zurück und fragt:

 „War das jetzt schon alles, soll das bisschen Leben…mein Leben schon vorbei sein?“  -  Das erschüttert mich und macht mich zunächst sprachlos. Denn:

Ihr gut zureden, ihr sagen, dass es doch auch viel Gutes und Schönes gab und dass ja vielleicht nach diesem Leben noch ein weitaus besseres auf sie wartet, käme mir in dem Moment vor wie blanker Hohn. Dafür habe ich zu hohen Respekt vor der Lebensleistung dieser Frau. Gleichzeitig macht es mich traurig, sie so verzweifelt zu sehen. Verzweifelt über das, was sie nicht gelebt hat  wohlwissend, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Ich kann versuchen, diesen Schmerz mit ihr auszuhalten, vielleicht den Blick irgendwann auf das lenken, was auch gut war und gelungen ist. Viel mehr kann ich nicht.

Die Begegnung mit dieser Frau macht mich einmal mehr nachdenklich.

 Ich denke dabei an mein eigenes Leben, das nicht ewig dauern wird. Und mir kommt ein Satz in den Sinn, der C.G. Jung zugeschrieben wird: „Es ist weniger das Leben, das uns bedrückt, viel öfters das ungelebte Leben, das uns schreiend vor Sehnsucht macht.“

 Deshalb gebe ich uns allen an diesem Morgen den folgenden Wunsch mit auf den Weg:

Das Leben,
es möge mehr sein als Gleichförmigkeit.
Mehr als Arbeit, Essen und Schlafen.
Es möge auch den Höhepunkt kennen
und den Kontrast,
die Heiterkeit, den Tanz und den Glanz.
Das Leben,
es möge mehr sein als Gewohnheit.
Mehr als Anpassung und Mittelmass.
Es möge auch die Ausnahme in ihm wohnen
und das Abenteuer,
das Verlangen und die Ergriffenheit.
Das Leben,
es möge mehr sein als Oberfläche.
Mehr als Tempo, Spaß und Geplauder.
Es möge auch das Geheimnis bergen
und die Tiefe,
die Vergangenheit und die Zukunft.

Jacqueline Keune, Quelle unbekannt

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17605
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