Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Schaffner“ nannte man sie bei der alten Bundesbahn. Nun hat man sie zu   „Zugbegleitern“ aufgehübscht. 

„Fahrscheine bitte“! - Ich schätze und bewundere die Arbeit dieser Frauen und Männer, wenn sie sich iim Zug durch enge Mittelgänge zwängen, stets ein freundliches Lächeln und tausendmal „Dankeschön und gute Weiterfahrt“. Im heillosen Gedränge gilt es, Übersicht und kühlen Kopf zu bewahren. Da muss man einem alten und behinderten Menschen zur Hand gehen, dort wird eine Fahrplanauskunft gewünscht. Und manchmal sind auch Rüpel zurechtzuweisen und Schwarzfahrer zu überführen. Das braucht Stehvermögen – auch im wörtlichen Sinn, wenn der Zug unsanft über die Weichen rattert und einen fast gegen die Sitzlehnen wirft. 

Unsanft reagieren leider auch manche Passagiere. Um 20 % haben im vergangenen Jahr die Angriffe auf das Bahn-Personal zugenommen. Da werden Zugbegleiter beschimpft, bespuckt, angerempelt. Manchmal setzt es sogar Hiebe. Als wären sie verantwortlich für überfüllte Abteile, verstopfte Toiletten und defekte Klimaanlagen, für Zugausfälle, ärgerliche Verspätungen und saftige Preise. 

Von einer jungen Zugbegleiterin, einem besonders freundlichen Exemplar, will ich noch erzählen. Nach einem langen Tag erreichen wir müde und erschöpft den Hauptbahnhof, um mit der Bahn ins etwa zwanzig Kilometer entfernte Quartier zu fahren. Es ist dunkel und kalt. Einladend wartet ein fast menschenleerer IC am Gleis. Aber wir wissen wohl, dass unser Tourismusticket nicht zur Mitfahrt berechtigt. Die nächste Regionalbahn aber geht erst in einer Stunde. Einfach durchmogeln? Schlechte Karten, wenn wir erwischt werden! Also frage ich mit Unschuldsmiene die am Bahnsteig wartende Zugbegleiterin. Sie bestätigt uns natürlich, dass wir leider draußen bleiben müssen. Kann man nicht schnell noch nachlösen? Ja, aber die Zeit reicht nicht mehr. „Ach was, steigen Sie einfach ein...“, sagt sie dann kurz entschlossen und erlaubt uns, die paar Minuten bis zu unserem Ziel mitzufahren.  

So notwendig Regeln und Gesetze sind, so menschlich ist es, auch einmal Gnade vor Recht walten zu lassen. Ganz risikofrei war dieser „Gnaden-Akt“ für die junge  Zugbegleiterin sicher nicht. Sie hat – vermutlich ohne es zu ahnen – befolgt, was Jesus einmal am Beispiel des Sabbat-Gebotes seiner Zuhörerschaft zu bedenken gab: Der Sabbat, also das Gesetz ist für den Menschen da und nicht der Mensch für das Gesetz (Markus 2, 27).

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