Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wir schreiben das Jahr 2062. Nicht erschrecken, Sie haben heute Nacht nicht 48 Jahre verschlafen, es geht um eine Science-Fiction-Serie, die uns ins Jahr 2062 versetzt. Schauplatz ist die italienische Insel Lampedusa, genau die, die so bekannt geworden ist, weil sich dort oft grauenhafte Flüchtlingsdramen abspielen.

Lampedusa ist das Nadelöhr zwischen Afrika und Europa, durch das sich zahllose Menschen zwängen oder es jedenfalls versuchen. Im Film und im Jahr 2062 ist das immer noch so. Und doch gibt es einen gewaltigen Unterschied: Der Flüchtlingsstrom bewegt sich nicht mehr von Süden nach Norden, sondern umgekehrt. Denn Europa ist jetzt praktisch nicht mehr bewohnbar. Nach Vulkanausbrüchen verdüstern Aschewolken den Himmel. Kälte und Lichtmangel führen zu Missernten, der ganze Kontinent ist öde und lebensfeindlich geworden. Die Helden des Films sind ein junges Paar, der weiße Ulysse und die dunkelhäutige Ophelia. „Hier gibt es nichts mehr für uns“, sagt Ulysse zu seiner schwangeren Freundin. „Afrika ist der einzige Ort, an den wir fliehen können, um uns etwas aufzubauen.“ So beginnt sie, die TV-Serie Usoni, vor ein paar Wochen ist sie im kenianischen Fernsehen angelaufen.

Und dann ist alles so, wie wir‘s aus den Berichten vieler Flüchtlinge kennen. Das junge Paar muss sich mit Haut und Haaren einem Schlepper ausliefern und sich dafür tief verschulden. Mit viel Glück überleben die beiden die Überfahrt in einem überfüllten Boot und erreichen die Küste. Damit beginnt ein neuer Kampf, mit Visabestimmungen und unverständlichen Behördenentscheiden. Am schlimmsten sind die Vorurteile der Einheimischen, das Misstrauen und die rassistische Überheblichkeit. 

So weit so bekannt. Wenn da nicht alles spiegelverkehrt wäre: Diesmal sind es die Afrikaner, die die Grenzen dichtmachen, um ihren Wohlstand gegen Habenichtse aus dem Norden zu verteidigen – und die Europäer sind die, die als Bittsteller kommen und auf das Verständnis der Einheimischen hoffen müssen.

Es ist, wie gesagt, ein Science-Fiction-Film. Ob es tatsächlich so kommen könnte? Diese Frage hat den französischen Filmemacher überhaupt nicht interessiert, er sagt: "Ich wollte… aufdecken, was jetzt gerade schon passiert… Ich will Europa den Spiegel vorhalten.“Ja, er hält uns den Spiegel vor. Nur, reinschauen müssen wir selbst.

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