Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Der Maidan in Kiew, der Tahrir in Kairo und der Taksim Platz in Istanbul. Alles Plätze, die für Protest- und Befreiungsbewegungen in diesen Städten stehen und immer stehen Plätze wie diese auch für Gewalt, für gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Staat und Protestierenden. Immer? Nein, nicht immer. Da gibt es die wunderbare Geschichte von Davide Martello aus Konstanz. Der 32-jährige ist ein Musikkünstler, der die Welt verbessern will. Er zieht mit seinem Piano im Anhänger durch die Städte Europas und spielt auf öffentlichen Plätzen. Ein Straßenmusiker mit Klavier sozusagen. Im Juni letzten Jahres war er in Bulgarien und als er von den Unruhen in Istanbul gehört hat, hat er sich kurzentschlossen auf den Weg dorthin gemacht. Als er auf dem Taksimplatz ankommt ist dieser leer, übersät von Schutt und Steinen. Beide Seiten, Polizei und Demonstranten, scheinen sich zum nächsten Kampf zu rüsten, die Ruhe vor dem Sturm. Und genau zu diesem Zeitpunkt lädt Davide sein Piano vom Hänger und fängt an zu spielen. „Let it be“ von den Beatles, „Imagine“ von John Lennon. Die ersten Menschen kommen und setzen sich und nach und nach füllt sich der Taksim-Platz. Hunderte von Demonstranten umringen den Konstanzer Pianisten. Als plötzlich Polizisten in Kampfanzügen aufmarschieren, wird es brenzlig, er bekommt Angst. Aber auch die Polizisten setzen sich, nehmen Schilde und Helme ab und lauschen seiner Musik. Irgendwann setzt sich ein Istanbuler Musiker neben Davide und die beiden improvisieren türkische Balladen. Polizisten und Demonstranten singen gemeinsam mit. Da weint Davide, weil er an Leib und Seele spürt, wie sich die verfeindeten Seiten entspannen – und es keine Steine, kein Tränengas und keinen Hass mehr gibt.

Zu schön um wahr zu sein? Nein, schön wahr, wunderschön! Ein glücklicher Einzelfall? Nein. Die Geschichte zeigt immer wieder, dass politische Veränderungen auch friedlich möglich sind. Die singende Revolution im Baltikum zum Beispiel, bei der Hundertausende von Menschen die politischen Veränderungen mit Singen von bislang verbotenen Liedern durchgesetzt haben. Die Nelkenrevolution in Portugal, wo den Gewehren und Panzern Nelken in die Läufe gesteckt wurden.

Und nicht zuletzt unsere Montagsdemonstrationen, die ohne Gewalt zur deutschen Wiedervereinigung geführt haben.

Es ist also möglich! Man muss sich nur erinnern, davon erzählen und daran glauben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17226
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