Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

An einer der Stellen, wo ich als Pfarrer gearbeitet habe, gab es eine Barockkirche, in der nicht nur außen, sondern auch innen alle Viertelstunde eine Uhr geschlagen hat. Der helle Klang war unüberhörbar und hat sich an den unmöglichsten Stellen in den Vordergrund gedrängt – gerade dann, wenn ich ein Gebet zu sprechen hatte und es darauf ankam, dass alle es innerlich mitvollziehen konnten. Oder, wenn ich einen Predigtgedanken entfaltet habe – froh, darüber, dass mir die meisten dabei gefolgt sind. Aber wenn das helle „Bing!“ ertönte, war es für einen Augenblick aus damit: Dann konnten viele es nicht lassen, mehr oder weniger verstohlen auf ihre Armbanduhr zu schauen.

Natürlich hat der Künstler sich etwas dabei gedacht: Er erinnert uns daran, dass der Lauf des Lebens unaufhaltsam weitergeht und dass wir angesichts des Todes unsere Zeit nutzen sollen.

Darüber nachzudenken ist heute gar nicht einfach. Meine Tage sind meistens ausgefüllt, und ich merke, wie schnell dabei die Zeit vergeht. Vor allem private Dinge kommen viel zu kurz. Nicht selten sagt meine Frau: „Wir arbeiten viel zu viel, aber das Leben besteht nicht nur aus Arbeit.“ Wie Recht sie hat! Nur: Was mache ich, wenn Termine in meinem Kalender stehen, die andere da hineingesetzt haben? Wenn Aufgaben in einem bestimmten Zeitraum fertig werden sollen? Viele Menschen klagen über Zeitdruck und Zeitmangel. Und nicht wenige reagieren darauf mit Krankheit.

Natürlich bin ich nicht der erste, der das beobachtet, und es gibt längst Strategien, dem entgegenzuwirken. „Entschleunigung“ heißt beispielsweise eine. Meine persönliche „Entschleunigung“ übe ich gerade während der Fastenzeit. Statt mit dem Auto zur Post zu fahren, weil ich denke, so geht es schneller und so spare ich Zeit, versuche ich es gerade zu Fuß. Statt eins nach dem anderen zu erledigen, schiebe ich dazwischen eine kurze Pause ein, manchmal sogar mit einem Gebet, wie es die Mönche machen. Die Wirkung ist verblüffend. Ich schaffe meine Sachen, und es bleibt tatsächlich Zeit übrig – mitten am Tag. Das „Bing“ der Uhr hat Recht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17205
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